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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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dahin.«
    »Ich habe keinen Appetit.«
    Fieten Krai lachte. Genüsslich schob er sich eine gebratene Niere zwischen die Zähne. »Hütet Euch davor, den Vitalienbrüdern jemals in die Quere zu kommen«, riet er ihm. »Ihr seid viel zu weich für deren Gesellschaft. Wahrscheinlich fallt Ihr in Ohnmacht, sobald Ihr den ersten Tropfen Blut seht.«
    »Ich werde nie etwas mit diesen Piraten zu tun haben«, entgegnete Hinrik, zutiefst davon überzeugt, was er sagte. »Ich habe nicht vor, zur See zu fahren.«
    Ein älterer Mann stand von seinem Tisch auf und kam herüber. Er hob beide Arme, um auf sich aufmerksam zu machen und um Ruhe zu fordern. Es wurde still. Nur einige tuschelten noch leise miteinander.
    »Ich habe Störtebeker ganz anders erlebt«, widersprach der Alte den Schilderungen des Gauklers. »Ich war an Bord eines Handelsschiffes, das von ihm überfallen wurde. Er hat uns höflich und anständig behandelt. Er hat niemandem ein Haar gekrümmt und keinen von uns über Bord geworfen.«
    Fieten Krai lehnte sich lachend auf seinem Stuhl zurück.
    »Ja, ja«, rief er. »Solche Angeber wie Euch trifft man immer wieder. Das ist Seemannsgarn, guter Mann! Wahrscheinlich seid Ihr sogar dem Klabautermann begegnet und habt seine Freundin, die Seejungfrau, gevögelt. Oder habt Ihr gar ein Tänzchen mit ihm gewagt? Ihr seid . . .« Er kam nicht weiter. Der Rest seiner Worte ging in dem allgemeinen Gelächter unter. Niemand glaubte dem Alten. Viel lieber nahm man die grauenerregenden Schilderungen des Gauklers für bare Münze. Verärgert warf der Alte einige Geldstücke auf den Tisch, um seine Zeche |121| zu bezahlen, und verließ – begleitet von höhnischen Zurufen – die Kneipe.
    Fieten Krai blickte Hinrik an. »Wie wär’s mit einem Krug Bier?«
    Der Ritter lehnte dankend ab. Er spürte bereits den Alkohol, und mehr wollte er nicht zu sich nehmen, um die Kontrolle nicht zu verlieren.
    »Entschuldigt mich«, erwiderte er und erhob sich.
    »Wohin geht Ihr?«, fragte der Gaukler lachend. Er zeigte auf zwei andere Männer, die ihre Notdurft in einer Ecke des Raumes verrichteten.
    »Nach draußen. Ich bin es so gewohnt. Ich bin gleich wieder da.« Er verließ die Kneipe und erleichterte sich in einem dunklen Winkel vor dem Haus. Als er zurückkehrte, herrschte dort ein wildes Durcheinander. Der Wirt packte Fieten Krai am Kragen und schleifte ihn zur Tür, um ihn mit einem kräftigen Fußtritt hinauszubefördern. Rasch verschwand der Gescholtene im Dunkel zwischen den Häusern.
    »Was ist los?«, fragte Hinrik.
    »Dieser verfluchte Dieb hat mir mein Geld gestohlen«, schrie ein bärtiger, grobschlächtiger Mann. Er hatte trübe Augen und konnte kaum noch auf seinen Beinen stehen, so viel Bier hatte er getrunken.
    Erschrocken griff Hinrik in seine Taschen. Sein Geld war weg. Übrig waren ein paar Münzen, die gerade ausreichten, seine Zeche und die Übernachtung zu bezahlen.
    »Mistkerl«, ächzte er. Er konnte kaum fassen, dass der Gaukler ihn bestohlen und betrogen hatte. Der Mann hatte einen durchaus sympathischen Eindruck auf ihn gemacht.
    Jetzt stand er mit leeren Händen da. Sein Ritterstatus half ihm überhaupt nicht. Er war ein freier Mann, aber er hatte kaum mehr Möglichkeiten als seine Gehilfen auf |122| dem verlorenen Hof. An Rache war nicht mehr zu denken. Jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Viel dringender war die Frage, wie er in der Stadt überleben sollte.
     
    Wasser tropfte ihm ins Gesicht und weckte ihn auf. Er brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, dass er sich in einem Nebenraum des Wirtshauses befand, in dem sich Körper an Körper reihte. Schnarchende Männer lagen wie er im Stroh auf dem Boden, auf den es durch das unverschalte Dach unaufhörlich herabtropfte. Regen rauschte auf die Stadt herab, und in der Ferne war dumpfes Donnergrollen zu hören.
    Er stand auf, raffte seine wenigen Sachen zusammen, stieg über einige schlafende Männer hinweg und ging in den Gastraum. Im Kamin brannte Feuer. Die Flammen stiegen hoch bis zu einem eisernen Kessel mit einer dünnen Brühe.
    Missmutig und müde blickte der Wirt ihn an. Ihm hing das Haar wirr in die Stirn. Unter seinem glänzenden Wams sahen dünne, nackte Beine hervor. Die Füße steckten in Holzpantinen, an denen der Dreck klebte.
    Schweigend reichte der Wirt ihm einen Becher mit Brühe. Hinrik nahm ihn dankbar entgegen. Er konnte etwas Warmes gebrauchen. Seine Kleidung war an den Schultern nass und kalt.
    »Es regnet schon seit Stunden«,

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