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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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neue Schiffe noch nicht eingetroffen, so dass es weder etwas zu verstauen noch zu löschen gab. Kramer schickte die Männer nach Hause, um sie nicht länger bezahlen zu müssen.
    |170| Als Hinrik durch den schmalen Gang zwischen den Lagerschuppen zu seinem Boot schlenderte, vernahm er die Stimmen einer aufgeregten Menschenmenge in der Nähe. Er ging schneller, weil er fürchtete, dass irgendetwas mit seinem Boot nicht in Ordnung sein könnte, fand sein schwimmendes Zuhause jedoch unbeschädigt im Wasser des Fleets liegen. Erstaunt bemerkte er, dass sich zahlreiche Männer und Frauen auf der Brücke versammelt hatten. An der Brüstung war eine Art Galgen errichtet worden. Dahinter stand mit einer schwarzen Kapuze über dem Kopf ein großer vierschrötiger Mann – der Henker der Stadt. Mit beiden Händen hielt er eine zierliche Frau fest, an deren Füßen ein schwerer Stein befestigt worden war. Ihr Oberkörper war unbekleidet. Hinrik konnte erkennen, dass ihr Brüste voller hässlicher Brandwunden waren. Mit angstvoll geweiteten Augen blickte sie Wilham von Cronen an, der neben dem Henker stand.
    Auch wenn aus ihrem Mund kein Laut kam, glaubte Hinrik, ihr Flehen zu hören. Der Richter beachtete sie nicht. Mit eisiger Miene hob er die Hand und rief seinen Befehl. Daraufhin stieß der Henker die Frau von der Brücke. Jetzt sah Hinrik, dass sie an den Händen gefesselt und mit einem Strick an den Galgen gebunden war. Sie fiel etwa sechs Fuß tief, und gleichzeitig riss es ihr die Arme über den Kopf. So baumelte sie schreiend unter der Brücke.
    Die Zuschauer drängten sich nicht weniger laut schreiend an die Brüstung, um sich das Schauspiel nicht entgehen zu lassen. Während der Henker sein hilfloses Opfer nun langsam in die Tiefe sinken ließ, warf die Verzweifelte sich hin und her und versuchte, sich von den Fesseln zu befreien. Vergeblich.
    Der Mann mit der schwarzen Kapuze hatte gute Arbeit |171| geleistet. Die Füße der Frau erreichten das Wasser und tauchten darin ein. Von bösartigen Zurufen, Schmähungen und dem Spott der Zuschauer begleitet, glitt die Frau immer tiefer in das Fleet hinein, bis nur noch der Kopf und die Arme herausragten. Sie schrie nicht mehr und sie hatte die Augen geschlossen. Er konnte sehen, wie ihre Lippen zitterten.
    Nun vollendete der Henker sein Werk. Er ließ die Frau ganz ins Wasser sinken, nur um sie noch einmal so weit herauszuziehen, dass sich ihre Hände aus dem Nass hoben. Sie zuckten wild, die Finger streckten und krümmten sich, wurden dann ruhiger, bis sie sich schließlich überhaupt nicht mehr bewegten.
    Die Menge löste sich allmählich auf. Erst nach etwa einer Stunde zog der Henker sein Opfer aus dem Wasser, warf es verächtlich auf einen Ochsenkarren und fuhr mit ihm davon.
    Hinrik hielt es nicht auf seinem Boot. Er wollte sich zwischen den Lagerhäusern ins Gras setzen und sich von der Sonne bescheinen lassen. Die Frau ging ihm nicht aus dem Sinn. Richter von Cronen hatte keine Gnade walten lassen und sie zu einem grausamen Tod verurteilt. Vielleicht hatte sie ihn sogar verdient. Er wusste es nicht. Sie tat ihm jedoch leid, weil sie unter so entsetzlichen Umständen hatte sterben müssen.
    Am nächsten Tag erfuhr er im Hafen, dass der angesehene Richter Karsten Bartholomaeus versucht hatte, die Frau zu retten. Er war gescheitert. Einige Tage vor der Hinrichtung war er nach London gefahren, wo er unter seltsamen Umständen den Tod gefunden hatte.
    »Es soll, so wahr der Teufel keine Seele hat, nicht nach einem Unfall ausgesehen haben«, berichtete Hafenmeister Kramer.
    |172| Den ganzen Tag über hatte es geregnet. Erst gegen Abend waren die dunklen Wolken abgezogen. Hinrik schöpfte Wasser aus seinem Boot und machte sich dann auf den Weg zum Haus des Arztes Hans Barg.
    Kurz vor seinem Ziel tauchte Greetje zwischen einigen Verkaufsbuden für Gemüse und Obst auf. Beinahe wäre er mit ihr zusammengeprallt. Sie erschrak so sehr, dass sie fast ihren Korb verloren hätte. Rasch streckte er die Hand aus und fing ihn auf.
    »Hoppla«, lachte er. »Das wäre aber schade um die schönen Früchte gewesen.«
    »Ihr habt Euch lange nicht sehen lassen«, warf sie ihm vor, wobei sie leise lächelte und ihre Augen warm leuchteten. Sie tat, als wollte sie den Korb halten, und legte ihre Hand auf die seine.
    »Ich war jeden Abend hier und habe auf Euch gewartet«, entgegnete er. »Leider vergeblich. Es war allerdings sehr spät. Ich musste lange arbeiten.«
    »Ihr seid zu bedauern!«,

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