Der Blutrichter
spöttelte sie, hakte sich munter bei ihm unter und schlenderte neben ihm her, als wäre sie schon lange mit ihm vertraut. Nach wenigen Schritten aber sah sie ihn besorgt an. »Ihr seid irgendwie anders als sonst. Was bedrückt Euch?«
»Ach, nichts weiter. Lasst uns nicht davon reden. Ich hoffe, Ihr habt ein wenig Zeit für mich?«
»Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mich zu von Cronens Haus begleiten«, schlug sie vor. »Dann bin ich vor allem Gesindel geschützt, das sich in den Gassen herumtreibt. Ich möchte Euch allerdings bitten, Euch dort im Hintergrund zu halten. Der Richter könnte sich wundern, dass ich mich mit einem Hafenarbeiter abgebe. Er ahnt ja nicht, dass Ihr in Wirklichkeit ein Ritter und von hoher Geburt seid. Er könnte Fragen stellen. Und das soll nicht sein.«
»Womit Ihr unbedingt recht habt.« Er lächelte in sich |173| hinein. Sie erreichten das Haus des Arztes, und sie eilte hinein, um den Tee für die kranke Margareta von Cronen abzugeben. Er brauchte nicht lange zu warten, bis sie mit erhitzten Wangen und fröhlich blitzenden Augen wieder herauskam und sich mit ihm auf den Rückweg machte.
»Wer ist der Däne, der Euer Haus immer wieder besucht?«, fragte Hinrik irgendwann wie nebenbei, als wäre er nicht sonderlich an einer Antwort interessiert. Doch Greetje konnte er nicht täuschen. Sie warf ihm einen raschen Blick zu, und ein schelmisches Lächeln huschte über ihr Gesicht.
»Oh, Ihr meint Thore Hansen.« Sie wich einer Pfütze aus. »Ach, der!«
»Thore Hansen. Was ist mit ihm?«
»Oh, nichts weiter«, gab sie munter zurück. »Er will mich heiraten, und mein Vater ist nicht abgeneigt, ihm die Zustimmung zu geben.«
Schockiert blieb Hinrik stehen. Ihre Worte verschlugen ihm die Sprache. »Ihr wollt ihn heiraten?«, brachte er endlich mühsam hervor. Das belustigte Funkeln in ihren Augen entging ihm.
»Ich?«, rief sie und lachte laut auf. »Nein, das nun wirklich nicht. Diesen schwabbeligen Kerl kann ich nicht leiden. Aber er gibt nicht auf.« Sie schmiegte sich an ihn. »Er wird sich vergeblich bemühen.«
Sie lachte erneut, als sie sah, wie erleichtert er war, löste sich von ihm und entfernte sich einige Schritte, wobei sie leichtfüßig über eine weitere Pfütze hinwegsprang. »Stört Euch etwa, dass er um meine Hand anhält?«
Mit einer derart offenen Frage hatte er nicht gerechnet. Er hatte gelernt, mit Männern zu kämpfen, und er hatte manchen harten Strauß ausgefochten, bei dem es buchstäblich |174| um Kopf und Kragen gegangen war. Er war stets kühl bis ans Herz geblieben und hatte nie die Beherrschung verloren. Gerade das hatte ihn so gefährlich gemacht. Nicht ein einziges Mal hatte er sich von seinen Gefühlen zu unbedachten Angriffen verleiten lassen. Die offene und muntere Frage einer Frau aber, die sein Herz schneller schlagen ließ, brachte ihn in Verlegenheit und trieb ihm unversehens den Schweiß auf die Stirn.
Sie lächelte, kam zu ihm und hakte sich bei ihm ein.
»Ihr seid verliebt«, stellte sie belustigt fest. »Und Ihr glaubt, ich könnte etwas für jemanden empfinden, der in den Wald geht, um einem widerlichen Mönch dabei zuzusehen, wie er einen Jungen missbraucht?«
»Nein, nein«, widersprach er hastig. »Das habt Ihr falsch verstanden. Ich bin nicht in den Wald gegangen, um . . .«
Sie legte ihm rasch die Hand auf den Mund. »Es war ein Scherz«, rief sie. »Ein Scherz! Ich weiß, dass Ihr von diesem Anblick ebenso überrascht worden seid wie ich.«
Er war so verwirrt, dass er kein Wort herausbrachte. Greetje hob sich unversehens auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. Als er jedoch den Arm um sie legen wollte, entglitt sie ihm. Bevor er irgendetwas sagen konnte, wurde sie plötzlich ernst.
»Aber da ist noch etwas«, vermutete sie. »Was betrübt Euch?«
»Nein, da ist nichts«, leugnete er.
»Eine Frau spürt so etwas. Versucht nicht, mich zu belügen. Vielleicht kann ich Euch helfen.«
Er zögerte, weil er nicht wusste, wie er sich verhalten sollte und ob er ihr wirklich vertrauen konnte. Von seinen Gefühlen hin- und hergerissen, versuchte er, einen klaren Gedanken zu fassen.
»Bitte, Hinrik!« Sie kehrte zu ihm zurück, legte ihm |175| die Hände auf den Arm und blickte ihn auf eine Weise an, die seinen Widerstand dahinschmelzen ließ.
Umständlich und stockend zunächst, dann jedoch immer flüssiger und klarer berichtete er von dem nächtlichen Gespräch auf der Brücke, das er belauscht hatte, und von dem
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