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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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führen war weniger anstrengend gewesen und hatte hauptsächlich Konzentration vorausgesetzt. Jetzt waren starke und leistungsfähige Muskeln vor allem an den Armen, den Schultern und an den Seiten gefordert. So dauerte es nicht lange, bis ihm die Arme schwer wurden und die Kräfte nachzulassen drohten. Er biss die Zähne zusammen und machte weiter, bis die Säge das Ende des Baumstamms erreichte und das nächste Brett fertig war. Dann sank er heftig atmend und mit schmerzenden Armen auf den Boden und versuchte, die Muskeln zu lockern. Die Arbeiter machten sich über ihn lustig und sparten nicht mit Spott. Er nahm es hin, beklagte sich nicht und kämpfte sich bis zum Abend durch, um dann mühsam und wie erschlagen aus der Grube zu kriechen. Er war am Ende seiner Kräfte und konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten.
    Nun aber spottete niemand mehr. Die Arbeiter musterten ihn mit einem gewissen Respekt. Einer reichte ihm etwas zu trinken, und ein anderer bemerkte anerkennend, kein Neuer habe je einen ganzen Tag in der Grube durchgestanden. Hinrik war zu schwach, um darauf antworten zu können. Müde, vollkommen erschöpft und von Krämpfen in den Armen geplagt machte er sich auf den Weg zurück nach Hamburg. Es dauerte, bis er das Haus der Kapitänswitwe erreichte. Er aß lediglich ein Stück Brot und ging dann zum Haus des Arztes Hans Barg. Er kam |199| gerade rechtzeitig, um sich Greetje auf ihrem Weg zu von Cronen anzuschließen. Die junge Frau redete viel an diesem Abend, und es störte sie nicht, dass er kaum antwortete. Sie war froh, dass er sie begleitete.
    »Musst du eigentlich jeden Abend zu von Cronen gehen?«, fragte Hinrik. »Könntest du ihm nicht ein wenig mehr von der Medizin geben, so dass er einige Tage lang damit auskommt?«
    »Ungern«, erwiderte sie. »Mein Vater meint, die Medizin könnte falsch dosiert werden, und das wäre nicht gut für Frau von Cronen. Aber ich will es versuchen. Wenn du mich nicht so oft sehen willst . . .«
    »Am liebsten wäre ich jeden Tag von morgens bis abends mit dir zusammen«, fiel er ihr ins Wort. »Und die Nacht noch dazu.« Er hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, weil ihm diese Worte herausgeschlüpft waren. Greetje errötete und wich verlegen seinen Blicken aus, eilte in von Cronens Haus und erschien erst nach geraumer Zeit wieder. Sie schwiegen auf dem Rückweg, bis sie das Haus ihres Vaters erreichten.
    »Gute Nacht«, wünschte sie und hauchte ihm rasch einen Kuss auf die Wange, dann schloss sich die Tür hinter ihr. Müde und ausgebrannt kehrte Hinrik zu Mutter Potsaksch zurück, die sich bereits zur Ruhe gelegt hatte, stieg in seine Kammer hinauf und fiel ins Bett, um augenblicklich einzuschlafen.
    Er konnte sich nicht vorstellen, dass er die Arbeit in der Sägemühle lange durchhalten würde. Von Muskelschmerzen geplagt trat er am folgenden Tag die Arbeit an, bewältigte sie mit seinem unbeugsamen Willen, war am Abend jedoch derart entkräftet, dass er sich am liebsten von Walter Seeler verabschiedet hätte. Dazu aber kam es nicht. Abends kam der Eigentümer der Holzmühle zu ihm, zahlte ihm zwei Blafferte, was einen guten Lohn darstellte, |200| und wies ihm eine neue Arbeit zu. Er solle am nächsten Tag nicht in die Grube, sondern mit den anderen in den Wald fahren, um Holz zu holen.
    Hinrik atmete auf. Eine Pause würde ihm guttun und ihm Gelegenheit geben, sich zu erholen. Am Abend war Greetje herzlich und freundlich wie immer, und sie ließ ihn fühlen, wie froh sie über seine Begleitung war. »Mein Vater stellt die Medizin jetzt so zusammen, dass ich nur alle drei Tage zu von Cronen muss«, berichtete sie und lächelte verständnisvoll. »Das gibt dir Gelegenheit, nach der harten Arbeit auszuschlafen. Du hast es verdient.«
    Einige Tage darauf erzählte er ihr von der Arbeit im Wald, die kaum leichter war als die in der Grube. Baumstämme, die so schwer waren, dass ein Mann sie nicht bewegen konnte, mussten mit Hilfe von Hebebäumen auf den Wagen gehievt werden. Sobald drei Stämme aufgeladen waren, zogen vier Pferde das Gespann aus dem Wald.
    »Dafür braucht man natürlich schwere Rösser«, sagte er. »Leichtere Pferde könnten diese Arbeit wohl nicht leisten. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass die Zeit dieser mächtigen Pferde vorbei ist. In Spanien, Italien und vor allem im Morgenland hat man schnelle und wendige Pferde. Sie sind die Zukunft.«
    Sie war die Einzige, die ihm interessiert zuhörte, wenn er über die Veränderungen

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