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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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herausgekommen war, kehrte er zu Mutter Potsaksch zurück. Er war jetzt sicher, dass er den gefeuerten Diener jederzeit in der Steinstraße oder auf dem nahen Pferdemarkt aufspüren konnte.
    Greetje war noch immer nicht von der Reise nach Itzehoe zurückgekehrt. Daher suchte er Abend für Abend die Steinstraße auf. Einige Male sah er den Rothaarigen, sprach ihn jedoch nicht an. Eine Woche nach seiner Entlassung |206| besuchte der Mann den »Goldenen Anker«, und jetzt endlich unternahm Hinrik den nächsten Schritt. Er betrat das Wirtshaus nach ihm. Nur wenige Tische waren besetzt. Der Rothaarige saß am brennenden Kamin und starrte trübsinnig ins Feuer. Den Krug Bier, den der Wirt neben ihm abstellte, beachtete er nicht.
    »Habt Ihr was dagegen, wenn ich mich zu Euch setze?«, fragte Hinrik und ließ sich auf einen Hocker sinken, bevor der andere ihn zurückweisen konnte. »Zumindest beim Bier sollte ein Mensch nicht allein sein.«
    Der Rothaarige hob missmutig den Kopf, seufzte schicksalsergeben, trank einen Schluck Bier und wandte sich wieder dem flackernden Feuer zu. Hinrik orderte Bier, Brot und Heringe. Er ließ sich Zeit. Als das Essen auf dem Tisch stand, ließ er es sich schmecken.
    »Wenn Ihr wollt, könnt Ihr etwas davon haben«, lud er den entlassenen Diener ein. »Die Portion ist mehr als reichlich.«
    »Hab keinen Hunger«, nuschelte der Rothaarige, ohne seinen Blick von den Flammen zu wenden.
    »Mit dem Feuer ist es wie mit dem Wasser«, fasste Hinrik nach. »Man kann stundenlang hineinsehen.«
    »Wohl wahr!« Der Rote griff nach seinem Krug und trank ihn auf einen Zug aus. Hinrik bestellte für sich und für seinen Tischnachbarn nach, trank vorsichtig und gelassen zugleich und verfolgte zufrieden, dass der andere mit jedem Schluck mehr Durst und Appetit bekam, bis er dem Bier und dem Essen kräftig zusprach. Der Alkohol minderte seinen Kummer sicherlich nicht, ließ ihn aber gesprächig werden. Damit kam er Hinrik entgegen, der ihn geschickt und unaufdringlich führte, um schließlich zu fragen: »Ihr kommt mir irgendwie bekannt vor. Kann es sein, dass ich Euch am Hafen gesehen habe? Dort habe ich im Kran gearbeitet. Ja, ich meine, Ihr wart da einige Male.«
    |207| »Sehr oft sogar«, erwiderte der Rothaarige, und seine Augen begannen zu funkeln. Sein bis dahin weitgehend ausdrucksloses Gesicht belebte sich und nahm sogar ein wenig Farbe an. »Ich habe für Wilham von Cronen gearbeitet, diesen Mistkerl. Für ihn und für Christoph, diesen Hurensohn.«
    »Ihr scheint den beiden nicht gerade freundlich gesinnt zu sein.«
    Er lachte bitter auf. »Freundlich gesinnt? Ich könnte sie umbringen. Alle beide. Lumpenpack ist das. Richter von Cronen ist stolz auf sein Amt und gibt damit an, dass er der beste Lieferant für den Grasbrook ist, und hat doch selber Dreck am Stecken. Und sein Sohn ist ein erbärmlicher Feigling, der sich hinter dem Rücken seines Vaters versteckt, weil er allein nichts auf die Beine bringt.«
    Hinrik tat, als sei er nicht sonderlich interessiert. Er trank ein wenig Bier und entgegnete beiläufig: »Dreck am Stecken? Wie wohl alle hohen Herren. Sonst wären sie ja nicht da oben.« Er deutete mit dem Finger in die Höhe, um auf jene Sphären hinzuweisen, die für sie beide unerreichbar waren.
    »Nein, nein, das meine ich nicht«, ereiferte sich der Diener. Nachdem er den Köder geschluckt hatte, den Hinrik geschickt ausgelegt hatte, zappelte er am Haken und wollte unbedingt loswerden, was er wusste. »Bei von Cronen ist das etwas anderes.«
    Er rückte näher, beugte sich weit über den Tisch und blickte verstohlen nach links und rechts, um sich davon zu überzeugen, dass niemand sonst mithörte.
    »Wie meint Ihr das?«, fragte Hinrik, wobei er gelangweilt tat und ins Feuer starrte, als sei nichts interessanter als die tanzenden Flammen.
    »Hört zu«, bedrängte der Rote ihn, wobei er ihm die Hand auf den Arm legte, um sich seiner Aufmerksamkeit |208| sicher zu sein. »Ich war viele Jahre Diener im Hause Wilham von Cronens. Ich bin sicher, dass er seine Frau umbringt. Langsam, ganz langsam und vorsichtig, indem er ihr vergifteten Tee zu trinken gibt. Im letzten Jahr hat sie sich völlig verändert. Manchmal kann sie nicht einmal mehr aus dem Bett aufstehen. Sie hält kleine Dinge für ganz groß und große Dinge für klein. Eine Maus hat sie furchtbar erschreckt. Sie behauptete, das Tierchen sei mächtig wie ein Pferd gewesen. Das ist entweder die Medizin, die sie bekommt, weil sie

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