Der Blutrichter
bei der Pferdezucht sprach, die seiner Ansicht nach bevorstanden.
»Es ist wie mit den Rittern«, fügte er hinzu. »Ihre Kampftechnik ist überholt. In Zukunft wird es sein wie bei den Pferden – man braucht wendige, leichte Kämpfer, die schnell reagieren können. Aber das will niemand hören.«
Je mehr sich seine Muskulatur stärkte, desto mehr gewöhnte er sich an die Arbeit in der Sägemühle und desto leichter fiel sie ihm. Immer wieder musste er an seine Zeit |201| als Knappe denken, in der er so viel lernen, in der er vor allem seinen Körper aufbauen musste, um auf bevorstehende Kämpfe vorbereitet zu sein. Jetzt befand er sich in einer ähnlichen Situation. Er musste sich stärken, um die Auseinandersetzungen bestehen zu können, die unweigerlich kommen würden, wenn er in der Hansestadt blieb und Wilham von Cronen auch weiterhin belauerte wie eine Raubkatze, die voller Anspannung in ihrem Versteck lag und ihr Opfer beobachtete, geduldig auf ein Zeichen der Schwäche wartend.
Wochen und Monate vergingen. Die Tage wurden länger, bis spät in den Abend hinein blieb es hell. Hinrik sah Greetje beinahe täglich. Er begleitete sie auf ihrem Weg zu von Cronen, und wenn die Temperaturen es zuließen, kehrten sie nicht auf direktem Weg zurück, sondern setzten sich ans Ufer der Alster, um miteinander zu reden oder Zärtlichkeiten auszutauschen. Beide warteten sehnsüchtig auf die Stunde am Abend, wenn sie sich, vor den Blicken Neugieriger geschützt, in die Arme sanken und sich leidenschaftlich küssten.
Hin und wieder lief ihnen Thore Hansen über den Weg und verdarb ihnen allein durch seine Anwesenheit das abendliche Vergnügen. Er behandelte Hinrik, als wäre dieser nicht vorhanden. Er grüßte nicht und schenkte ihm keinen einzigen Blick. Sein Verhalten war anmaßend und unverschämt.
Greetje versuchte ihm auszuweichen, wo immer dies möglich war. Es gelang ihr nicht oft.
»Es ist, als ob er irgendwo auf der Lauer liegt und darauf wartet, dass du kommst«, meinte Hinrik.
»Er beobachtet mich«, stellte sie voller Unbehagen fest. »Immer sieht er mich, bevor ich ihn bemerke. Er ist widerlich.«
»Dann lass ihn abfahren!«, forderte er.
|202| »Das kann ich nicht.« Sie schüttelte traurig den Kopf, und dann wechselte sie rasch das Thema. Hinrik respektierte, dass sie sich nicht weiter äußern wollte. Als sie sich einige Tage darauf kühl und abweisend gegenüber Hansen verhielt, griff der Däne nach ihrem Arm, zog sie zu sich heran und drohte: »Nicht so unfreundlich, kleines Fräulein. Ihr wisst sehr wohl, dass ich Eurem Vater Schwierigkeiten machen könnte.« Als Hinrik nähertrat, um einzugreifen, ließ er Greetje los und wich zurück. »Was ich selbstverständlich niemals tun würde!«
Mit einem eigenartigen Lächeln verneigte er sich, trat hinkend zur Seite und bat sie mit unmissverständlicher Geste weiterzugehen.
Als Hinrik an diesem Abend mit Mutter Potsaksch zusammensaß, erkundigte er sich bei ihr nach Thore Hansen. Sie kannte ihn. Sie schien jeden Mann und jede Frau Hamburgs zu kennen. Doch in ihren Augen war er unwichtig.
»Kümmert Euch nicht um ihn«, riet sie Hinrik. »Er spielt keine Rolle. Er ist ein Angeber, weiter nichts.«
Sie sollte sich gründlich irren.
»Von Cronen ist ein ganz anderes Kaliber. Ich hasse und verachte diesen Kerl. Eines aber muss ich zugeben. Er hat aus nichts eine ganze Menge gemacht.«
»Wie soll ich das verstehen, Mutter Potsaksch?«
Sie verfiel ins Hamburger Platt, wie es am Hafen gesprochen wurde. »De hett jo nix an de Feut hat, as de no Hamboch komm is.«
Sie blickte nachdenklich ins Kaminfeuer und fuhr dann fort: »Als er nach Hamburg kam, war er arm wie eine Kirchenmaus. Das Geld hatte Margareta. Er hat sie geheiratet, obwohl sie mehr als zehn Jahre älter ist als er. Seine zweite Frau. Warum wohl? Aus Liebe? Bestimmt nicht. Aber immerhin. Mit ihrem Geld im Rücken hat er etwas für sich aufgebaut. Und das ist nicht wenig. Nun wartet er |203| Tag für Tag darauf, dass seine Frau endlich stirbt, damit er sich eine andere nehmen kann.«
Als Hinrik am Wochenende in die Kirche ging, um an einem Gottesdienst teilzunehmen, sprach ihn Hafenmeister Kramer an und bot ihm für den Sommer die Arbeit als Kranführer an. Hinrik lehnte ab. In der Sägemühle gefiel es ihm besser. Längst lag die Zeit hinter ihm, in der er in die Grube steigen musste, um einen Baum zu Brettern zu zersägen. Seeler hatte andere Arbeiten für ihn. Dabei nutzte er vor allem
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