Der Blutrichter
Hinriks technisches Talent, das ihm dazu verhalf, einige der Maschinen der Mühle zu verbessern.
Schwachpunkte stellten vor allem die Sägen dar, die allzu schnell stumpf wurden. Immer wieder gab es Pausen, weil sie geschärft werden mussten. Hinrik ging mit einer Säge zu einem Schmied und experimentierte mit ihm, um bessere Sägen herzustellen. Dabei erinnerte er sich an den Waffenschmied von Rendsburg, bei dem er gelernt hatte, wie ein gutes Schwert hergestellt wurde. Diese Kenntnisse konnte er nun einsetzen.
Walter Seeler war ihm dankbar. Er bezahlte ihn immer besser und übertrug ihm Verantwortung für die anderen Arbeiter, deren Einsatz durch die verschiedenen Maßnahmen immer effektiver wurde.
Die Tage wurden länger. Auf der Alster wasserten die Wildschwäne, die auf ihrem Rückweg aus dem Süden eine Rast einlegten. Schwärme von Wildgänsen zogen in breitem Keil über die Hansestadt hinweg nach Norden, und die Bäume entfalteten ein kräftiges Grün. Sie beeinträchtigten die Sicht Hinriks auf den Hafen nur wenig, wenn er am Abend nach getaner Arbeit hoch oben in seiner Kammer an der Luke saß und das Geschehen am Kai und auf den Schiffen beobachtete. Wenn er Greetje nicht sehen konnte, weil sie mit ihrem Vater zusammen Krankenbesuche |204| machte oder nach Itzehoe fuhr, wo Hans Barg Geschäfte zu erledigen hatte oder Graf Plupfennig aufsuchte, nahm er diesen Platz ein und harrte so lange dort aus, bis ihn die Müdigkeit übermannte. Dabei hoffte er ständig, irgendetwas zu entdecken, was er gegen von Cronen verwenden konnte.
Lange hoffte er vergeblich, bis eines Tages eine Kogge anlegte. Christoph von Cronen ging von Bord, begleitet von zwei lachenden Mädchen, mit denen er lebhaft schäkerte, und einem rothaarigen Diener. Es hatte beinahe den ganzen Tag über geregnet. Erst gegen Abend hatten die dunklen Wolken sich verzogen, und nun war der Himmel über Hamburg heiter. Im Hafen aber standen noch immer große Pfützen. Christoph schenkte den beiden Mädchen zu viel Aufmerksamkeit und achtete dabei zu wenig auf den Weg. Plötzlich stolperte er, riss die Arme Halt suchend in die Höhe und stürzte. Er konnte sich so weit abfangen, dass er nicht der Länge nach in eine Pfütze fiel, sondern auf den Knien landete. Doch das war schon schlimm genug, zumal die beiden Mädchen albern lachten und so laut kreischten, dass Hinrik es hören konnte, obwohl er weit mehr als hundert Schritte von ihnen entfernt war.
Bleich erhob sich Christoph. Er ertrug es nicht, ausgelacht zu werden. Seine Kleidung war nass und schmutzig. Selbst aus der Entfernung war zu erkennen, dass er dem Diener einen Befehl erteilte. Hinrik meinte erkennen zu können, dass er dessen Hosen verlangte. Als der Rothaarige zögerte, stürzte sich Christoph wütend auf ihn und schlug auf ihn ein, stellte ihm schließlich ein Bein und warf ihn rücklings in die Pfütze, was die beiden Mädchen erneut zu kreischendem Gelächter veranlasste.
Christoph eilte wütend davon. Lachend liefen die jungen Frauen hinter ihm her, wobei es eine der beiden |205| offenbar witzig fand, den rothaarigen Diener mit einem Stein zu bewerfen. Der Rothaarige rappelte sich auf und stolperte eilends hinter Christoph her, der ihn jedoch schroff abwies.
Hinrik stieg die Treppe hinunter, wechselte ein freundliches Wort mit Mutter Potsaksch und machte sich auf den Weg. An der Stelle, an der er üblicherweise vor von Cronens Anwesen auf Greetje wartete, wenn sie im Haus war, blieb er stehen. Es dauerte nicht lange, bis der rothaarige Diener mit einem Bündel aus dem Haus kam. Er war noch bleicher als sonst. In seinem Gesicht zeichneten sich Entsetzen und Hoffnungslosigkeit ab. Hinrik konnte sich denken, was geschehen war. Außer sich vor Zorn, weil er sich vor den beiden jungen Frauen blamiert hatte, war Christoph bis zum Äußersten gegangen und hatte dafür gesorgt, dass sein Vater den Diener entließ.
In sicherem Abstand folgte Hinrik dem Rothaarigen quer durch die Stadt bis zum Pferdemarkt unmittelbar bei dem halb abgebrochenen Alstertor. Als er über den Markt ging und mit mehreren Pferdehändlern sprach, hätte er ihn beinahe aus den Augen verloren, entdeckte ihn jedoch rechtzeitig wieder, bevor jener in die Steinstraße einbog, die Hauptverkehrsader der Stadt. Hier suchte der Mann ein kleines Haus auf, verhandelte kurz mit einer älteren Frau, die ihm öffnete, und trat ein. Hinrik blieb in der Nähe. Als der Rothaarige nach mehr als einer Stunde nicht wieder
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