Der Blutrichter
schreiben?«, fragte Hinrik.
»Ein wenig«, schränkte sie bescheiden ein. »Viel ist es wirklich nicht, was ich kann. Du bist sehr viel besser. Immerhin hast du es bei den Mönchen gelernt.« Sie fischte einen Zettel heraus. »Das ist die Rezeptur für den Tee, den ich von Cronen bringe.«
Er nahm den Zettel entgegen und las, was darauf geschrieben |211| stand. Doch wenn er gehofft hatte, klare Hinweise auf irgendetwas zu finden, was gegen von Cronen sprach, hatte er sich geirrt.
»Mutter Potsaksch wird wissen, was sie damit zu tun hat«, sagte er. »Sie wird sich die nötigen Kräuter besorgen. Die meisten findet sie wohl im Wald.«
Er konnte mit den Angaben nichts anfangen, hoffte jedoch, dass ihm Spööntje, die Heilerin aus dem Wald bei Itzehoe, helfen konnte. Sie würde wissen, welche Bedeutung die einzelnen Zutaten der Rezeptur hatten und wie sie wirkten.
Als er Walter Seeler am nächsten Morgen bat, der Arbeit einen Tag fernbleiben zu dürfen, stieß er auf vollkommenes Unverständnis.
»Wieso denn das? Nein, wir können uns keine Einbußen leisten. Wir müssen das gute Wetter nutzen. Du hast den Sonntag, den Tag des Herrn. Das muss reichen.«
»Bitte«, flehte Hinrik. An einem einzigen Tag zu Fuß bis nach Itzehoe und zurück, das war nicht zu schaffen. Wenn er Glück hatte, fand er Spööntje in ihrer Kate vor und verlor keine Zeit. Möglich war aber auch, dass er stundenlang auf sie warten musste, weil sie irgendwo unterwegs war, um Kräuter zu sammeln oder Kranke zu behandeln. »Ich brauche den Montag.«
»Nein.« Walter Seeler blieb hart.
»Dann ist meine Arbeit hier zu Ende. Gib mir meinen Lohn.«
»Keinen Hohlpfennig bekommst du.«
»Mir stehen vier Dreilinge zu.«
»Die zahle ich dir erst, wenn du am Montag zur Arbeit erscheinst.«
Hinrik versuchte gar nicht erst zu handeln. Er drehte sich um und verließ den Schuppen, in dem Seeler seine Schreibarbeiten erledigte. Jetzt erkannte der Besitzer der |212| Sägemühle, dass Hinrik entschlossen war zu gehen, sprang auf und eilte hinter ihm her.
»Hör zu, Hinrik«, rief er. »Du weißt genau, dass du mein bester Mann bist und wie wichtig es mir ist, dass du für mich arbeitest. Du bleibst!« Er packte ihn an der Schulter und riss ihn herum. Doch dann wich er Schritt um Schritt zurück. Mit tiefem Ernst sah Hinrik ihn an. In seinen blauen Augen lag eine Drohung, die mehr als viele Worte sagte.
»Es tut mir leid«, stammelte Seeler erschrocken. »Selbstverständlich kannst du der Arbeit fernbleiben. Ein oder zwei Tage? Eine ganze Woche? Entscheide selbst. Und deinen Lohn werde ich dir auf der Stelle auszahlen.«
Aber Hinrik war nicht mehr zur Umkehr zu veranlassen. Seelers Verhalten war in keiner Weise der Leistung gerecht geworden, die Hinrik in den vergangenen Monaten für ihn und die Sägemühle erbracht hatte. Er hatte sich in ihm getäuscht. Er war nicht der Mann, der er vorgab zu sein. Und so war es an der Zeit, sich etwas Neues zu suchen.
Hinrik verließ die Sägemühle. Es berührte ihn nicht weiter, dass Walter Seeler klagte und jammerte und verzweifelt rief: »Was soll ich denn ohne dich tun?«
Es war schon zu spät, um an diesem Tag noch nach Itzehoe aufzubrechen. Hinrik ging zu Mutter Potsaksch, nahm eine Kleinigkeit zu sich und zog sich in seine Kammer zurück, um früh am nächsten Morgen Hamburg zu verlassen.
Der Morgen war frisch und kühl. Kaum jemand war auf den Gassen. Die Wachen am Turm reagierten nicht auf seinen Gruß. Sie dösten müde vor sich hin, während er selbst rasch und voller Tatendrang ausschritt. Endlich war er auf etwas gestoßen, was er möglicherweise gegen Wilham von Cronen verwenden konnte. Seine Geduld war belohnt worden.
|213| Er kam gut voran an diesem Tag, auch wenn er an den Flüssen und Auen immer wieder aufgehalten wurde. Die von Westen kommenden Frühjahrsstürme drückten das Wasser der Nordsee in die Elbmündung und sorgten dafür, dass sich in den Nebenflüssen des Stroms die Wassermassen aufstauten. Viele kleine Flüsse traten über die Ufer und überschwemmten Wiesen und Moore, so dass oft nur schmale Dämme frei blieben. Es war die Stunde der Fährleute, die sich mit den Tücken der Gewässer auskannten. Sie nutzten die Gelegenheit, um das Entgelt für ihre Dienste kräftig zu erhöhen.
Hinrik zahlte gern, und er zahlte gut. Er wusste, wie schwer der Beruf war, den diese Männer ausübten, und mit welchen Entbehrungen er oft verbunden war. Sie lohnten ihm seine Großzügigkeit, indem
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