Der Blutrichter
sie ihm wichtige Hinweise gaben – wo Räuber auflauerten, welche Wege zu Morast und damit unpassierbar geworden waren, so dass es ratsam war, einen Umweg zu machen, aber auch, wo er ein besonders gutes Bier und empfehlenswertes Essen bekam.
Mit solchen Ratschlägen versehen, kam Hinrik schneller voran als mancher andere Reisende, der mit den Fährleuten zu feilschen versuchte. Er erreichte die Kate im Wald bei Itzehoe am späten Nachmittag, fand Spööntje jedoch nicht vor. Das Feuer im Kamin war fast erloschen, und auf dem Tisch stand eine Schale mit einem Rest Gemüsesuppe. Bestimmt war die alte Frau in den Wald gegangen, um Holz oder Kräuter zu sammeln.
Als er sich vor der Kate umsah, fiel ihm auf, dass eine Menge Holz herumlag. Um sich die Zeit zu vertreiben, holt er sich eine Säge und eine Axt aus der Kate und begann, das Holz für den Kamin zu zerkleinern. Die Stunden gingen dahin, und der Stapel Holz wuchs zusehends. Spööntje bemerkte er erst, als sie unmittelbar hinter ihm stand.
|214| »Bist ein guter Kerl«, lobte sie ihn. »Komm herein.« Sie brachte drei Rebhühner mit, die ihr in die Fallen gegangen waren.
»In Itzehoe hat sich allerhand getan«, erzählte sie, als bald darauf zwei der Hühner am Spieß über dem Feuer hingen. »Graf Pflupfennig ist vom Schlag getroffen worden. Er ist am ganzen Körper gelähmt und kann nur noch den Kopf heben und eine Hand bewegen. Er liegt im Bett und muss versorgt werden. Manchmal treffen die Schicksalsschläge doch die Richtigen.«
Im Kloster hatten sich neue Mönche eingefunden, die sich als außerordentlich fleißig und kenntnisreich in der Landwirtschaft erwiesen. Einige von ihnen gaben ihre Erfahrungen, die sie vor allem in Süddeutschland gemacht hatten, an die Bauern weiter.
Andere verstanden sich auf den Fischfang. Sie holten Störe, Lachse und Meeresforellen in beachtlicher Menge aus dem Fluss, weil sie neue Fangmethoden entwickelt hatten. Weil sich in der Störschleife immer wieder viel Schlick absetzte, der entfernt werden musste, damit sie schiffbar blieb, hatten einige der Stadtväter die Idee gehabt, den Fluss zu verschließen und das gewonnene Land zu bebauen.
»Pure Dummheit!«, schnaubte Spööntje. »Ein natürlicher Hafen ist selten. Natürlich ist es mühsam, den Schlick zu entfernen. Dafür hat man eine Flussschleife. Durch sie ist die Stadt besser geschützt als durch jede Mauer, und sie ist mit dem Schiff jederzeit erreichbar.«
Sie erzählte allerlei von den Bürgern der Stadt und von den Bauern aus der Umgebung, doch nur wenig davon interessierte Hinrik. Dennoch hörte er höflich zu. Schließlich kam sie auf Hans Barg zu sprechen, der seine Zelte in Itzehoe endgültig abgebrochen hatte, um in Hamburg zu leben und zu praktizieren.
|215| »Er konnte dem Grafen nicht helfen, der nicht einsehen wollte, dass ihm nicht mehr zu helfen war. Sie haben sich gestritten, und der Graf hat Hans Barg aus dem Haus gejagt.« Sie wurde nachdenklich, und ihr Blick schweifte in die Ferne. »Hans Barg hatte einen Berg von Schulden, die er begleichen konnte, indem er seine Häuser in Itzehoe an den Grafen verkaufte.«
»Seltsam«, sinnierte Hinrik. »Ich habe den Arzt für einen wohlhabenden Mann gehalten.«
»Das mag er sein. Ich kann es nicht ausschließen. Er hat ein Haus in Hamburg und vermutlich einiges mehr.« Sie wandte sich ihm zu. »Weißt du, warum er immer wieder nach Itzehoe kommt, obwohl er doch in Hamburg lebt?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Er ist von einem Dämon besessen. Er ist des Teufels, und niemand kann ihm helfen. Auch Greetje nicht.«
Hinrik wollte nicht glauben, was die alte Heilerin behauptete. Sie mochte den Medicus nicht. Das wusste er seit langem.
»Wieso sprichst du vom Teufel?«, fragte er.
»Weil der Teufel ihn alle paar Monate fest im Griff hat«, eröffnete sie ihm. »Dann kann Hans Barg nicht anders. Er beginnt zu trinken. Tagelang und bis zur Bewusstlosigkeit. Zu Anfang ist es Bier, dann werden die Getränke stärker. Wenn er nicht mehr laufen kann, muss Greetje ihn versorgen. So lange, bis der Teufel sich seufzend ausstreckt, zufrieden grinst und seine Hand von Hans Barg lässt. Für einige Wochen oder Monate rührt er dann keinen Tropfen mehr an, bis es dem Teufel in den Sinn kommt, ihn wieder zu verführen. Dann fährt Hans Barg nach Itzehoe, wo ihm keiner seiner Hamburger Patienten begegnet, und besäuft sich, bis der Teufel ein Einsehen hat.«
Hinrik erinnerte sich an den Tag, als er die Hilfe Hans
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