Der Blutrichter
helfen. Kann die Kirche diesen Teufel vertreiben?«
Umständlich setzte Franz sich das Brillengestell auf die Nase, schien aber nicht besser sehen zu können. Hinrik erkannte, dass er Zeit gewinnen wollte, um nachzudenken.
»Gott ist mächtiger als der Teufel«, betonte der alte Mönch. »Sein Wille ist unübertrefflich, und seine Güte ist unendlich. Er hat uns Menschen mit allen Gaben versehen, die wir für ein ihm gefälliges Leben benötigen. Es ist die Kraft Gottes, die alle selig macht, die an ihn glauben.«
»Das ist nicht die Antwort, die ich mir erhofft habe, Franz.«
»Oh, das ist sie. Lass es mich mit anderen Worten sagen.«
|219| »
Ut desint vires
. . .«, begann Hinrik spöttisch, doch der Mönch fiel ihm ins Wort.
»Nein, nein, die Kräfte fehlen nicht. Gott hat sie allen Menschen gegeben. Es ist der Wille, sie mobil zu machen. Wo ein Wille ist, ist ein Weg.«
»Habe ich Euch richtig verstanden? Ihr möchtet mir sagen, dass man den Dämon Alkohol nur vertreiben kann, wenn man selbst den Willen dazu hat und mit diesem Willen aus sich selbst heraus jene Kräfte weckt, die Gott einem jedem von uns gegeben hat und die in jedem von uns verborgen sind?«
»Ich sehe, dass du über eine gewisse Intelligenz verfügst, mein Sohn.« Jetzt war er es, der sich einen gewissen Spott nicht verkneifen konnte. »Das ist es, was ich schon immer bei dir vermutet, häufig genug aber auch vermisst habe. Und jetzt lass mich allein. Ich bin wirklich müde.«
»Ich danke Euch, Franz.« Er verneigte sich vor dem alten Mann, der ihm matt zuwinkte. Während er hinausging, nahm er jenen besonderen Geruch in sich auf, den die alten Bücher und die wurmstichigen Möbel der Bibliothek verströmten. Sie erinnerten ihn an manch schöne Stunde, in der er als Knappe ein Türchen zur Wissenschaft geöffnet hatte. Ihm war noch jetzt, als wäre jedes Mal ein Lichtstrahl in ihn eingedrungen und hätte ihn erwärmt.
Franz war ein wunderbarer Lehrer gewesen. Er hatte ihn neugierig gemacht, seinen Ehrgeiz geweckt und ihn in eine bemerkenswert weltoffene Gedankenwelt eingeführt, befreit von der religiösen Enge, die manch Geistlicher den Gläubigen aufzwingen wollte. Mit ihm zu reden, war Hinrik sehr wichtig gewesen, und nun, nachdem es geschehen war, fühlte er sich erleichtert und befreit.
Die Schwierigkeiten aber, vor denen er stand, waren nicht geringer geworden. Er hatte eine Waffe gegen Wilham von Cronen in der Hand, doch er konnte sie nicht |220| ohne die Hilfe Greetjes und ihres Vaters einsetzen, denn nur sie konnten den Beweis liefern, dass der Ratsherr dabei war, seine Frau zu ermorden. Je länger er darüber nachdachte, desto klarer zeichnete sich für ihn ab, dass er diese Unterstützung nicht bekommen würde. Hans Barg würde sich nicht selbst der Beteiligung an einem Mordversuch bezichtigen, und Greetje würde ihren Vater nicht belasten.
Auf dem Weg zurück nach Hamburg dachte Hinrik nach, ohne eine Lösung des Problems zu finden. Es schien, als würde von Cronen seine Frau töten können, ohne dass ihn jemand daran zu hindern vermochte. Über das Motiv der Tat konnte er nur spekulieren. Wenn er Mutter Potsaksch Glauben schenken wollte, dann hatte von Cronens Frau das Geld mit in die Ehe gebracht, während er so gut wie mittellos gewesen war. Möglicherweise hatte sie ihm gedroht, ihn hinauszuwerfen und ihn damit auch um das Vermögen zu bringen.
Der Rückweg nach Hamburg war weitaus beschwerlicher als erwartet. Ein steifer Wind aus Nordwest drückte weitere Wassermassen in die Elbe und ihre Nebenflüsse, von denen einige für Stunden unpassierbar wurden, bis die Ebbe einsetzte und der Pegel spürbar fiel. So erreichte Hinrik das Haus von Mutter Potsaksch erst am Abend, als sie bereits schlief.
Als er am nächsten Morgen zu ihr hinabstieg, um sich ein Stück Brot geben zu lassen, empfing sie ihn mit einer schockierenden Nachricht.
»Habt Ihr gehört? Margareta von Cronen ist gestern gestorben. Sie wird schon morgen auf dem Gottesacker beigesetzt. Von Cronen wird ein paar Tränen vergießen und sich danach die Hände reiben, weil er nun schalten und walten kann, wie er will. Vor allem kann er sich eine andere nehmen, eine jüngere.«
|221| Hinrik war wie vom Schlag getroffen. Seine Mühe war umsonst gewesen. Den Weg nach Itzehoe zu Spööntje hätte er sich sparen können. Es war zu spät. Von Cronen hatte seine Frau ermordet, und niemand konnte es ihm beweisen.
»Der Mann ist mit dem Teufel im Bunde«, sagte
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