Der Blutrichter
bereitete ihm die Kette an den Füßen einige Mühe. Es war ihm ein Bedürfnis, das verdreckte Wams abzulegen, sich Schmutz und Schweiß vom Körper zu waschen und sich wenigstens von einem Teil der Plagegeister zu befreien, die sich auf seiner Haut angesiedelt und zahllose Quaddeln hinterlassen hatten. Die Wachen ließen ihm nicht viel Zeit. Sie trieben ihn an, so dass er sich nur oberflächlich reinigen konnte. Danach reichten sie ihm ein sauberes Kleidungsstück und warfen sein Wams ins Feuer, um es mitsamt den darin hausenden Blutsaugern zu verbrennen.
Mittlerweile hatten sich seine Augen an das Licht gewöhnt |244| . Er befand sich auf einem Innenhof, der von den Mauern prachtvoll verzierter Gebäude umgeben war. Eine Treppe führte zu einem großen Raum, in dem Richter Wilham von Cronen und zwei Beisitzer saßen. Hinter einer Barriere standen etwa zwanzig Zuschauer, die sich respektvoll leise miteinander unterhielten. Die Wachen führten Hinrik vor den Richter, der die goldene Gnadenkette angelegt und sich in einen Ratsmantel gehüllt hatte. Danach bauten sie sich drohend zwischen ihm und dem Gericht auf. Sie hätten ihn aufgehalten, wenn er versucht hätte, den Ratsherrn anzugreifen. Doch Hinrik war weit davon entfernt. Innerlich gelassen wartete er darauf, dass von Cronen ihn nach seinem Namen fragte. Aber augenblicklich war es mit seiner Ruhe vorbei, und ein eisiger Schreck fuhr ihm durch die Glieder.
»Hinrik vom Diek, Ritter zu Heiligenstätten«, eröffnete der Richter die Verhandlung.
Sein Todfeind hatte ihn erkannt!
Hinrik ahnte Böses. Jetzt ging es nicht mehr um irgendeine Kleinigkeit, die das Gericht ihm vorwerfen wollte, sondern um weitaus mehr. Wilham von Cronen hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihn zu verhaften, nur um ihn für ein paar Tage in den Kerker zu schicken.
Es kam schlimmer, als er befürchtet hatte.
»Ritter Hinrik vom Diek, gegen Euch liegen mehrere Anklagepunkte vor. Ihr habt erstens einen Bauernhof des Klosters zu Itzehoe betreten, obwohl es Euch ausdrücklich verboten war. Danach habt ihr zweitens zwei Männer ermordet, die als Sicherheitsposten dort eingesetzt waren, indem Ihr Feuer auf dem Hof gelegt habt. Die Männer sind elendig in den Flammen verbrannt. Diese Tat geschah aus Mordlust und aus Wut über den Verlust Eures Vermögens im Spiel.«
Wilham von Cronen hob den Vertrag hoch, in dem |245| geschrieben stand, dass der Hof mit allem, was dazugehörte, ins Eigentum des Klosters zu Itzehoe übergegangen war und dass er diesen Hof niemals mehr betreten durfte. Er las den Vertrag mit lauter, kräftiger Stimme vor, so dass ihn jeder im Saal hören konnte.
»Ihr habt den Hof also widerrechtlich betreten, Hinrik vom Diek. Das ist unbestreitbar.« Von Cronen wandte sich nun direkt an ihn. »Was habt Ihr dazu zu sagen?«
»Es ist richtig, dass ich den Hof betreten habe«, gestand der Ritter. »Aber nicht ich habe das Feuer gelegt, sondern die beiden Männer waren es. Sie sind unachtsam mit den Kerzen umgegangen, die im Haus brannten. Sie waren betrunken und haben sich gestritten. Das trockene Holz hat sofort Feuer gefangen. Es ging blitzschnell. Mir war sofort klar, dass die Männer sich nicht retten konnten. Deshalb bin ich in das Haus eingedrungen, um sie vor dem Feuertod zu bewahren. Es war zu spät.«
»Zeugen haben ausgesagt, dass vor allem Ihr betrunken gewesen seid, Hinrik vom Diek. Ihr konntet nicht ertragen, dass Ihr Haus und Hof verspielt habt. Das war der Grund für diese unverzeihliche Tat.« Richter von Cronen machte einige Ausführungen, die allesamt belastend für den Angeklagten waren, dann beriet er sich mit seinen Beisitzern und erhob sich.
»Hiermit verurteilt Euch das Gericht der Hansestadt Hamburg zum Tode durch das Schwert«, verkündete er. »Das Urteil wird in zwei Tagen vollstreckt. Ihr werdet auf dem Grasbrook geköpft werden.« Er setzte sich und befahl kühl und gleichgültig: »Der nächste Fall!«
Hinrik durfte sich noch nicht einmal mehr verteidigen. Die Wachen packten ihn und führten ihn hinaus, wobei sie jede Verzögerung mit brutalen Schlägen gegen seinen Rücken beantworteten.
Als er die Treppe hinunterstolperte und mit klirrenden |246| Ketten an den Füßen auf den Hof hinaustrat, war ihm klar, dass er den Kampf gegen Wilham von Cronen endgültig verloren hatte.
Nachdem Greetje erfahren hatte, dass Hinrik verhaftet und abgeführt worden war, versuchte sie ebenso verzweifelt wie vergeblich, Kontakt zu ihm zu bekommen. Sie
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