Der Blutrichter
von denen es in der feuchten Strohunterlage nur so wimmelte. Nicht zu vergessen die Ratten, die um jeden Krümel Brot kämpften, den die Gefangenen nicht sofort nach Erhalt verzehrten.
Es gab mehrere Anhaltspunkte, was zu seiner Verhaftung geführt haben könnte, doch nichts drängte sich in |235| besonderem Maße auf. Verdächtig erschien ihm in erster Linie Fieten Krai, obwohl er sich stets freundlich mit dem Gaukler unterhalten und nie mit ihm angelegt hatte. In Frage kam weiterhin Evchen, die er abgewiesen und die ihm Rache geschworen hatte. Dass Walter Seeler ihm in seinem Zorn über seine Kündigung Derartiges angetan hatte, konnte er sich nicht vorstellen. Natürlich kam Greetje nicht in Frage. Möglicherweise gab sie ihm die Schuld am Tod ihres Vaters, doch würde sie nie so weit gehen, ihn anzuschwärzen und seine Verhaftung zu veranlassen. Nein. Sie kam nicht in Frage.
Der Hafenmeister Kramer hatte keinen Grund, ihm Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Im Gegenteil. Er war darauf angewiesen, dass er den Kran bediente, da es niemanden gab, der ihn ersetzen konnte.
Hinrik fühlte, wie ein kalter Schauer ihn überlief.
Vielleicht war eingetreten, was er hatte vermeiden wollen. Vielleicht hatte Kramer mit Wilham von Cronen über ihn, seinen Kranführer, gesprochen.
Der schwere Eisenriegel an der Tür schob sich klirrend zur Seite, und einer der Wächter trat ein.
»Es ist so weit. Haenke und du da, Seilmacher. Raus mit euch. Der Henker wartet auf euch.«
Einer der Männer im hinteren Teil des Verlieses erhob sich und schlurfte müde und resigniert zur Tür. Ein anderer richtete sich auf, blieb jedoch auf dem Boden sitzen und schob sich mit dem Rücken an die Wand.
»Ich will nicht«, stammelte er. »Lass mich in Ruhe. Ich will nicht.«
»Was soll der Unsinn, Reeper?«, fuhr der Wächter ihn an. »Der Henker wartet. Er will deinen Kopf. Glaubst du, er kommt hierher zu dir?« Er lachte dröhnend. »Los, oder ich mach dir Beine.«
»Nein!«, schrie der Seilmacher. »Nein!« Schluchzend |236| und wimmernd sank er zur Seite und vergrub den Kopf in seinen Armen.
»Ja, ja, halte deinen Kopf ruhig fest«, lachte der Wächter. »Noch hast du ihn auf den Schultern. In einer Stunde steckt er auf dem Pfahl auf dem Grasbrook. Dann kannst du auf die Elbe hinausstarren, bis die Raben dir die Augen aushacken.«
Der Seilmacher schrie und schlug in panischer Angst um sich. Doch nun kamen zwei weitere Wächter hinzu.
»Morgen machen wir mit den Kindern eine Kahnfahrt auf der Alster«, sagte der eine, während er sich dem Delinquenten näherte.
»Hoffentlich habt ihr gutes Wetter«, erwiderte der andere.
»Na klar. Seit Tagen scheint die Sonne, und es ist warm. Das wird morgen nicht anders sein. Du glaubst gar nicht, wie die Kinder sich freuen.«
Sie halfen dem ersten Wächter, ergriffen den Seilmacher an Armen und Beinen und schleiften ihn hinaus.
»Wir nehmen alles zum Essen und Trinken mit und legen weiter oben an der Alster an, um mit den Kindern zu spielen.«
»Da kann ich dir ein wirklich hübsches Plätzchen empfehlen.« Die beiden Wächter schwatzten über den belanglosen Ausflug, ohne den verzweifelten Kampf ihres Opfers zu beachten. Sie schleiften den Seilmacher hinaus wie ein Tier, das zum Schlachter gebracht werden sollte. Mit aller Kraft versuchte der zum Tode verurteilte Gefangene, sich zu befreien, doch es gelang ihm nicht.
Hinrik senkte den Kopf und schloss die Augen. Er musste an die Drohung denken, die Wilham von Cronen ausgesprochen hatte.
Solltet Ihr nach Hamburg kommen, sorge ich dafür, |237| dass Ihr unverzüglich dem Henker übergeben werdet. Ob schuldig oder unschuldig, das ist mir egal.
Sollte Cronen durch einen dummen Zufall davon erfahren haben, dass er sich nach der Zusammensetzung des Kräutertees für seine Frau erkundigt hatte? Die Macht des Ratsherrn reichte bis nach Itzehoe und darüber hinaus. Spööntje könnte ihn durch eine unvorsichtige Bemerkung unabsichtlich verraten haben.
Die Schreie verzweifelter Männer drangen zu ihm herein. Es gab noch mehr Verurteilte, die heute dem Henker zugeführt wurden und die sich vergeblich dagegen wehrten.
Unwillkürlich blickte Hinrik auf die Tür, und er fragte sich, wann sie sich für ihn öffnen würde.
Zwölf Tage und Nächte vergingen. Tage und Nächte der Ungewissheit und der quälenden Gedanken. Er wartete. Irgendetwas musste passieren. Es musste einen Weg geben, der ihn aus dem Kerker führte, ohne dass der Henker das
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