Der Blutrichter
das sind es. Das ändert allerdings nichts an der Schwere der Anklage, die gegen ihn erhoben wird.«
»Was wirft man ihm vor? Worin besteht die Anklage? Was hat er zu erwarten?«, bedrängte sie den Richter, während er sie aus dem Haus begleitete.
»Dazu darf ich mich nicht äußern«, wich er aus. »So ist das Recht in Hamburg. Das wird die Verhandlung ergeben.«
|249| Sie wusste nichts über die juristischen Bestimmungen in Hamburg und musste die Zurückweisung des Richters hinnehmen. Aber sie gab noch nicht auf, setzte sich für Hinrik ein und tat alles, um ihm zu helfen. Schließlich kannte sie Richter Gnadenlos, und sie wusste, dass er als der beste Lieferant des Grasbrooks galt.
Sie fürchtete das Schlimmste.
»Wann ist die Verhandlung?«, fragte sie, als sie sich von ihm verabschiedete.
»Am Donnerstag«, antwortete er, ohne zu zögern. »Vielleicht verschiebt sie sich um einen oder zwei Tage. Ich sorge dafür, dass Ihr rechtzeitig davon erfahrt. Ich nehme doch an, Ihr wollt dabei sein?«
»Unbedingt!«
Sie nutzte die Tage bis zur Verhandlung, um Hinrik etwas zu essen und zu trinken zu bringen. Jeden Tag übergab sie einen Korb an die Wachen, die ihr feierlich schworen, der Gefangene werde auf jeden Fall alles erhalten. Am folgenden Tag nahm sie den leeren Korb zurück und tauschte ihn gegen einen vollen ein. Dass ihn nicht ein einziger Korb erreichte, ahnte sie nicht.
Voller Sorge sah sie dem Tag der Verhandlung entgegen. Am Mittwoch kaufte sie Wurst, Schinken, geräucherten Fisch und etwas Obst für Hinrik ein. Gerade wollte sie sich auf den Weg zum Rathaus machen, in dem sich auch das Gericht befand, als ihr Thore Hansen, ihr dänischer Nachbar, entgegentrat. Er machte einen ausgesprochen heiteren Eindruck, so als sei ihm gerade ein besonders gutes Geschäft gelungen. Er roch nach Bier und Schweiß. Obwohl sie ihm schon oft begegnet war und er immer wieder hartnäckig um sie warb, war ihr nicht aufgefallen, dass sein linkes Auge grün und das rechte grau war. Sie bemerkte es jetzt, und sie wunderte sich darüber, dass ihr dieses Merkmal so lange entgangen war. Vielleicht |250| hatte sie zu sehr auf seine rote Säufernase und die schwammig wirkenden Lippen geachtet.
»Ich habe Euch vermisst, Greetje«, sagte er, nachdem er sich höflich verneigt hatte.
»Vermisst? Wobei?«
»Aber ich bitte Euch! Solltet Ihr wirklich nicht gewusst haben, dass heute gegen Hinrik vom Diek zu Heiligenstätten verhandelt wurde? Ich dachte, das Schicksal dieses Mannes interessiert Euch?« Lauernd blickte er sie an. Sie war zu Tode erschrocken.
»Heute? Aber heute ist Mittwoch. Der Richter hat mir versichert, dass die Verhandlung morgen stattfindet«, stammelte sie. »Eher sogar noch später.«
Thore Hansen lachte breit. Dabei legte er die Hände seitlich an seinen stattlichen Bauch und streichelte ihn, als würde ein Wohlgefühl von ihm ausgehen, weil er gerade ein köstliches Essen genossen hatte. »Nein, nein, sie war heute. Vielleicht ist es ganz gut, dass Ihr nicht dabei wart. Es ist ja nicht gerade angenehm, wenn man anhören muss, wie ein guter Bekannter zum Tode durch das Schwert verurteilt wird. Übermorgen wird das Urteil vollstreckt.«
»Zum Tode? Durch das Schwert?« Greetje schwankte. Sie stützte sich an einem Verkaufsstand ab, fürchtete, in Ohnmacht zu fallen. »Aber warum?«
»Das ist schnell erzählt«, entgegnete er und berichtete mit knappen Worten, welche Anklage das Gericht vorgebracht hatte. »Ich habe schon immer geahnt, dass diesem Kerl nicht zu trauen ist. Nachdem ich nun weiß, dass Hinrik vom Diek Ritter ist, sich aber als einfacher Arbeiter hier bei uns in Hamburg verdingt hat, ist mir klar, dass er eine ganze Menge zu verbergen hat. Dieser Mann hat mehr Dreck am Stecken. Viel mehr.«
»Wie könnt Ihr so etwas behaupten?« Ihre Stimme |251| klang schwach und heiser. Sie fühlte sich der Wirklichkeit entrückt. Thore Hansen vernahm sie wie aus einer anderen Welt.
»Möglicherweise ist er ein Spion, der in den Diensten Störtebekers und der Vitalienbrüder steht«, fuhr Hansen fort. Sie empfand seine Worte als gehässig und beleidigend. Ihr war, als würde sie von jeder seiner Bemerkungen bis ins Mark getroffen, als würde er eine Klinge in sie hineinstoßen, die er dann genüsslich in der Wunde drehte, um ihr die größtmöglichen Schmerzen zuzufügen. »Er hat im Hafen gearbeitet und zahllose Schiffe beladen. Für ihn war es eine Kleinigkeit, die Freibeuter wissen zu lassen, welches
Weitere Kostenlose Bücher