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Der blutrote Kolibri

Der blutrote Kolibri

Titel: Der blutrote Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo P. Lassak
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rausgehabt, wie man mit ihnen sprechen musste. Die Tiere verstanden sie, jedes einzelne Wort, fraßen ihr sogar behutsam aus der Hand. Ihr Vater musste sehr, sehr stolz auf sein einziges Kind gewesen sein. Animaya schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter und ging weiter zu den Ställen der Lamaguas. Sie waren ringförmig angeordnet, sodass jeweils sieben Tiere leicht von einem Platz aus mit Futter und Streu versorgt werden konnten.
    Die halbwüchsigen Jungtiere waren einzeln untergebracht. Gerade wenn sie viel geritten wurden, benötigten sie einen ruhigen Platz zur Erholung. In den größeren Abteilungen lebten Paare. Sie blieben ein Leben lang zusammen. Trächtige Stuten und Mütter mit Jungtieren unter einem Jahr wurden von den Hengsten besonders liebevoll behandelt. Rücksichtsvoller, als viele Frauen von ihren Männern …
    Als Animaya in den Kreis trat, warfen die meisten Tiere ihre zotteligen Köpfe über die Absperrungen und schnauften.Makuku schlug sogar mit den Hinterbeinen aus, was ihr große Mühe bereiten musste, denn sie war hochträchtig. Animaya öffnete das doppelt gesicherte Gatter. Ein Fremder wäre nun auf der Stelle von den Reißzähnen des Hengstes in Stücke ge rissen worden. Doch der mächtige Kapka presste seine Schnauze nur in die Seite seiner Pflegerin, sorgsam darauf bedacht, sie nicht schon durch sein bloßes Gewicht zu verletzen.
    Animaya fuhr ihm mit den Fingern durch die Mähne, dann nahm sie Makukus Kopf in beide Hände. »Ich bin hier, um dir etwas zu versprechen.«
    Makuku schnaufte und stellte ihre langen Ohren auf. Sie freute sich sichtlich, dass Animaya da war.
    Â»Wenn ich wirklich so schön bin, wie alle behaupten, werde ich schon morgen Abend Tupacs Konkubine sein. Ich werde im Palast leben und immer genug zu essen haben, so wie du. Dann gibt es für mich keine Maisrationen mehr, keine abgezählten Kartoffeln, die einen ganzen Monat lang reichen müssen. Mein Magen wird keinen Abend mehr knurren, wenn ich mich hinlege …«
    Makuku leckte ihr über die Hand.
    Animaya lächelte. »Hanka wird sich um euch kümmern. Aber ich werde euch jeden Tag besuchen, ganz bestimmt. Ihr müsst also nicht traurig sein. Nur schade, dass ich bei der Geburt eures Fohlens nicht dabei sein kann.« Jetzt konnte sie die Tränen nicht länger zurückhalten. In ihnen lag Trauer, aber auch große Hoffnung. »Wünscht mir Glück!«
    Makuku schnalzte mit der Zunge, was sie nur sehr selten tat. Das hieß, dass sie ihr auf Lamagua-Art die Daumen drückte.

DER KROKODILREITER
    In der Nacht vor dem Haremsfest träumte Animaya von dem roten Kolibri. Barfuß folgte sie ihm über die gepflasterte Straße durch das Tor hinaus. Die Wachen verbeugten sich vor ihr und ließen sie ohne Geleitschutz in den Wald. Der Kolibri schwirrte den Knochenfluss entlang bis zur Lagune und flatterte dann ins Dickicht. Als Animaya ihn endlich eingeholt hatte, hing er wie schwerelos über dem flachen Stein und saugte mit seinem langen Schnabel an einer schillernden Blume.
    Animaya schreckte hoch. Einen Atemzug lang bildete sie sich ein, das Heulen der Albinas zu hören. Wenn der Vogel ihr gestern die Reiter hatte zeigen wollen, dann sollte sie wohl heute in den Wald zurückkehren. Zu der Stelle, wo der tote Fisch gelegen hatte. Und nur heute konnte sie dies problemlos tun. Es war Brauch unter den Jungfrauen, am Morgen vor dem Fest durch den Dschungel zu wandeln und sich eine Blüte als Schmuck zu brechen.
    Als die Papageien krächzend das Signal zum Aufstehen gaben, hatte Animaya bereits ihr schmutziges Alltagskleid angezogen. Ihr blieb nicht viel Zeit.
    Sie stürzte aus dem Haus und rannte zum Stadttor. Unterwegs bot sich ihr ein merkwürdiges Bild: Zwischen den Kriegern, die in ihren schweren schwarzen Rüstungen den Festplatz herrichteten, wirbelten die Mädchen in ihren weißen Kleidern wie Federn umher.
    Pillpa winkte ihr mit der Rechten aufgeregt zu. In der anderen Hand hielt sie eine Orchideenblüte, vorsichtig, um nicht eine Polle zu verstreuen. Sicher war sie auch heute Morgen wieder als Erste auf den Beinen gewesen.
    Animaya konnte nicht einfach an ihrer Freundin vorbeilaufen, das hätte Pillpa tief verletzt. Obwohl sie der Traum in den Wald lockte, ging Animaya zu ihr. Vielleicht ist das unser letztes Gespräch, dachte sie.
    Zur Begrüßung hielt Pillpa ihr die Blüte

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