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Der blutrote Kolibri

Der blutrote Kolibri

Titel: Der blutrote Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo P. Lassak
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das wohl seinen Schmerz überspielen sollte, ließ er Animaya los. »Wie heißt du, furchtloses Mädchen?«
    Animaya rieb sich das Handgelenk. »Ich werde alles dafür tun, meinen Namen niemals aus deinem Mund zu hören!«
    Der Junge schien davon wenig beeindruckt. »Gut, dann gebe ich dir einfach einen. Sternauge, das passt zu dir!«
    Â»Du brauchst keinen Namen für mich!«, giftete Animaya ihn an. »Weil wir uns nämlich nie wieder sehen werden. Ich alarmiere jetzt unsere Krieger.« Sie drehte sich um und eilte Richtung Lagune davon. Hitze stieg in ihr auf. Wieso geisterte ihr Pillpas Stimme durch den Kopf? Sie sollen so verdammt magisch küssen, dass ihnen jede Frau für immer verfällt.
    Sie dachte an ihren Vater. Tinku Chaki hatte genau so einen Kurzspeer in der Seite stecken gehabt, als man ihn fand. Das Morden lag ihnen im Blut, wie sie selbst hatte sehen können. Darauf gab es nur eine Antwort.
    Sie legte die Hände wie einen Trichter an den Mund und ahmte den Ruf des Kakadus nach. »Ruck-ruck-ruuuuck!«
    Mit dem Handrücken fuhr sich Animaya über die Augen. »Wachen!«, zischte sie mit scharfer Stimme. Vorhin hatte doch noch der ganze Wald von ihnen gewimmelt, wo waren sie denn jetzt? »Wachen, hierher!«
    Â»Sternauge!«
    Animaya hatte noch nie jemanden so laut rufen hören. Fürchtete er nicht einmal die Albinas?
    Nicht umdrehen!, beschwor sie sich selbst.
    Â»Sternauge, warte!«
    Kurz vor dem Rand der Lagune wirbelte Animaya herum. Der Junge stand noch immer bei dem flachen Stein. Animaya sah, wie er seine Faust öffnete. Der rote Kolibri schüttelte sich das Gefieder aus und schwirrte seelenruhig davon.
    Hinter Animaya brachen zwei Krieger durch das Gebüsch. »Was ist?«, flüsterten sie hektisch. »Wieso hast du um Hilfe gerufen?«
    Â»Ein Krokodilreiter …«, begann Animaya und zeigte auf den Baum. Der Platz daneben war leer.
    Â»Er hat mich bedrängt«, sagte sie atemlos. »Ihr müsst ihn finden!«
    Die beiden Krieger stürmten los und suchten das Gebüsch ab. Animaya wollte sehen, wie sie ihn aus seinem Versteck hervorzerrten. Aber sie fanden nichts, nicht einmal einen geknickten Zweig.
    Â»Bist du sicher?«
    Animaya nickte wortlos. Dann drehte sie sich um und schlich zur Stadt zurück. Kurz vor dem Tor strich sie sich eine Strähne aus der Stirn. Dabei berührte sie etwas Weiches auf ihrem Kopf. Die Blüte. Der junge Krokodilreiter musste sie ihr bei ihrem kleinen Gerangel unbemerkt ins Haar gesteckt haben.
    Eine halbe Stunde später saß Calico, der Klingenschleifer, in Animayas Kammer am Tisch und rülpste. Ihr Nachbar war der dickste Einwohner der Unterstadt, den Animaya je gesehen hatte. Die von den Kämmerern gerecht verteilten Nahrungsmittel reichten meist gerade so zum Überleben. Theoretisch stand es zwar jedem frei, sich zusätzliches Essen im Wald zu suchen, doch nach der Arbeit blieb dafür schlichtweg keine Zeit.
    Manche behaupteten, er habe sich für doppelte Rationen bei den Generälen als Spitzel verdingt. Ob das nur gehässiges Gerede war oder der Wahrheit entsprach, wusste Animaya nicht. Allerdings hatten die Strafaktionen in ihrem Viertel proportional zu Calicos Bauchumfang zugenommen. Gerade bediente er sich an einer Schale mit süßem Maisbrei, die er zur Feier des Tages vorbeigebracht hatte – aber das taten heute alle. Dazu trank er reichlich Bier und gaffte Animaya aus seinen fiesen Knopfaugen an.
    Â»Die Generäle werden dich auswählen, so viel ist klar. Du wirst eine von Tupacs Konkubinen. Auf dich, Animaya!«
    Lachend hob er seinen Becher. Vinoc stieß mit ihm an, wobei die Hälfte des Biers auf das Gewand des Schleifers schwappte.
    Â»Pass doch auf, Dummkopf!«, schimpfte Calico.
    Vinoc wackelte mit dem Kopf und grinste schief.
    Während die beiden Männer den erwarteten Triumph schon vorab feierten, schwiegen die Frauen.
    Wisya, Vinocs Weib, hockte ihrem Gemahl gegenüber auf einem Schemel und legte letzte Hand an Animayas Frisur. Die alte Bäuerin zitterte, ihr schmaler Kamm zerstörte mehr, als dass er ordnete. Aber die Art, wie sie Animaya berührte, ließ keinen Zweifel zu: Sie mochte das schmale Mädchen mit den schwarzen Augen sehr.
    Â»Diese hier möchte ich heute tragen.« Animaya strich über die schillernde Blüte auf dem Tisch wie über einen kostbaren Schatz.
    Sie

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