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Der blutrote Kolibri

Der blutrote Kolibri

Titel: Der blutrote Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo P. Lassak
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während der Aufstehsperre abholen, er weiß alles, schoss es ihr durch den Kopf.
    Sie suchte in den steinernen Mienen der Generäle nach einem Zeichen dafür, was sie wohl erwartete, aber vergebens. Mit ihr in der Mitte marschierten sie gnadenlos dem Palast entgegen.
    In Animayas Kopf überschlugen sich die Gedanken. Was sollte sie tun, was sagen, wenn sie Kapnu Singa gegenüberstand? Oder vielleicht sogar Tupac selbst? Leugnen hatte wenig Sinn bei einem Mann, der in sie hineinzutauchen vermochte wie der Frosch in einen Brunnen. Wenn wenigstens Perlenhaut nicht in seinen Fängen war …
    Gerade als sie für sich beschlossen hatte, den Geschicken der Götter ihren Lauf zu lassen, bogen die Generäle unvermutet ab. Sie gingen durch die leeren Außengehege schnurstracks auf die Lamagua-Stallungen zu. Einen Moment lang dachte Animaya, die Männer würden sie zu ihrer geliebten Makuku bringen, doch sie liefen an der Box vorbei. Ein paar Verschläge weiter öffnete ein dritter General das Gatter. Auf der Blätterstreu lag Sumaku, eine ältere Stute. Hanka, der Lahme, war bei ihr. Doch immer, wenn er sich dem Tier näherte, begann es markerschütternd zu brüllen.
    Â»Etwas stimmt mit ihrem Baby nicht«, berichtete Hanka fahrig. »Aber sie lässt keinen ran. Da hab ich Kapnu Singa von dir erzählen lassen. Du kannst doch so gut mit ihr …«
    Animaya seufzte leise. Immer noch war ein Leben in Gefahr, nur nicht mehr ihr eigenes oder das des jungen Krokodilreiters. Die Anspannung fiel von ihr ab und sie kniete sich neben Sumaku.
    Â»Alles gut, meine Süße«, flüsterte sie sanft.
    Sumaku stieß die Luft aus den Nüstern, als wollte sie sagen: Endlich habt ihr Zweibeiner verstanden, von wem mein Kind auf die Welt gebracht werden soll.
    Animaya strich ihr über den Bauch, doch noch hatte sie Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Die Ereignisse des frühen Morgens wollten sich nicht verdrängen lassen. Sicher, Lamaguas waren für Tupac wertvoller als Jungfrauen. Im Kampf und als Lasttiere der Karawanen waren sie nahezu unersetzlich. Aber normalerweise brachten die Pfleger jeden Nachwuchs zur Welt, ohne dass schon vorab davon im Palast Notiz genommen wurde. Warum war es diesmal anders?
    Mit ruhigen Fingern tastete Animaya Sumakus Unterleib ab, wobei das Tier schmerzvoll aufstöhnte. Als sie etwas Nasses spürte, hob sie die Hände vors Gesicht. Sie waren blutverschmiert!
    Da bemerkte Animaya auch die Lache, in der sie kniete und die mit jedem Herzschlag des Lamaguas größer wurde. Panik stieg in ihr auf und sie musste heftig schlucken.
    Das Maisstroh, die Tücher, die Hanka bereitgelegt hatte, um das Kleine abzureiben, alles war rot. Der Lahme taumelte leichenblass aus der Box, dann hörte Animaya, wie er ohnmächtig zu Boden fiel.
    Die drei Generäle kümmerten sich nicht um ihn. Sie standen mit großen Fackeln im Halbkreis reglos um Animaya und das Tier herum.
    Animaya traten Tränen in die Augen. Sie biss die Zähne zusammen, schloss für einen Moment die Lider und sog die abgestandene Luft des Geheges in ihre Lunge. Behalt jetzt bloß die Nerven!, ermahnte sie sich im Stillen. Du kannst dir vor den Generälen keine Schwäche erlauben.
    Wieder betastete sie den Bauch des Muttertiers, erspürte das Baby durch Fell und Haut hindurch. Da zuckte etwas unter ihren Fingern. Zart und zerbrechlich, wie die Flügel eines Schmetterlings. Das Herz von Sumakus Fohlen schlug noch, es war noch nicht verloren!
    Augenblicklich wusste Animaya, was zu tun war. Der Eingriff war riskant, aber die einzige Möglichkeit, die beiden – wenigstens aber das ungeborene Fohlen – zu retten. Als sich Animaya darüber klar wurde, begann ihr eigenes Herz zu rasen. Jetzt brauchte sie Leute, die ihr halfen, und nicht bloß blöd glotzende Generäle.
    Â»Was steht ihr da herum?«, zischte sie die Männer wütend an. Sie griff nach einem Büschel Stroh und schleuderte es ihnen entgegen.
    Die drei wichen nicht aus, zuckten nicht mal mit den Wim pern. Nur die schweren goldenen Pflöcke in ihren Ohren schau kelten.
    Â»Du holst Wasser!«, befahl sie dem General links neben sich.
    Ohne seine Antwort abzuwarten, wandte sie sich an den zweiten: »Du ziehst einen Faden, drei Arme lang, durch Öl und bringst ihn her. Hohl auch gleich noch eine Nadel und ein paar frische Tücher.«
    Â»Und du«,

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