Der blutrote Kolibri
Weise. Ein gewaltiger Kampf steht bevor, das spüre ich mit jeder Faser meines bleichen Körpers. Du musst dein Schicksal annehmen. Kämpfe, mein Mädchen! Wenn sich einer ändert, müssen sich alle ändern!«
»Ich â¦Â«
»Imelda ist zu mir gekommen, weil sie ihre Sprache zurückwollte â ich konnte ihr nicht helfen. Aber du kannst ihr wieder eine Stimme geben!« Wisya packte sie an den Armen. »Tupac sitzt zu Unrecht auf dem Thron, er wird sein Volk verraten, tut es jetzt schon. Die Armen sterben bereits an dem schlechten Wasser. Nur der wahre Thronerbe kann den Kampf gegen die dunklen Mächte gewinnen. Ein Kind seines Bruders, das er nicht töten lieÃ.«
Sie verstärkte den Griff um Animayas Arme. »Der Thronerbe weià nichts von seinem Schicksal, Animaya, du musst ihn finden! Ich bin dafür zu alt.«
Mit einem Mal rollten Wisyas Augen nach hinten, bis alles Rot aus ihnen verschwunden war. Ihre Finger verkrampften sich zu Klauen und aus den Kuppen wuchsen lange Krallen, die sich in Animayas Haut bohrten, ohne sie jedoch auch nur zu ritzen.
Röchelnd flüsterte sie Animaya ins Ohr: »So prophezeit es die Goldene Maske: Der alte Inka wird im Kampf besiegt, von seinem Nachfolger.«
Animaya biss sich auf die Lippe. Das war nicht Wisya, die da zu ihr sprach, das war eine der Verdammten aus dem Wald. Ein nach faulen Eiern und verwesten Tierleichen stinkender gelber Rauch quoll ihr aus dem Maul.
»Ein Inka wird auf dem Thron sitzen, wie ihn niemand im Volk jemals gesehen hat. Bleibt jedoch der alte Inka Herrscher, wird das flüsternde Volk ausgelöscht. Eilt euch, eilt euch! Der Herd der Vernichtung ist schon angelegt.« Die Albina kreischte wie unter groÃen Schmerzen auf. »Die Kreatur frisst sich durch den Wald auf die Stadt zu. Groà ist sie, wie ein Tempel. Bäume und Tiere und Menschen sind ihre Speise und sie hinterlässt nichts. Goliath nennen sie die seelenlosen Diener, die sich ihr bedingungslos verschrieben haben. Goliath! Eilt euch! Eilt euch!«
Animaya riss sich aus der Umklammerung los. Strampelnd befreite sie ihre Beine aus den Schlingpflanzen. Ohne darauf zu achten, wie laut ihre FüÃe auf das Pflaster schlugen, rannte sie durch die Gassen nach Hause. Wiederholt spähte sie über die Schulter, weil sie meinte, die Albina würde sie durch das Labyrinth der StraÃen verfolgen. Mehrmals stieg an den Häuserecken vor ihr gelber Rauch auf, der mit flüchtigen Fingern nach ihr griff.
Eilt euch! Eilt euch! , hallte es in Animayas Ohren nach. Findet den rechtmäÃigen Inka!
Zu Hause angekommen, warf sich Animaya auf ihre Pritsche. So töricht es bei den offenen Türen auch war, sie fühlte sich in Sicherheit. Keuchend presste sie ihr Gesicht in die Decke, die Augen fest zugekniffen, um nichts mehr sehen zu müssen. Aber der Klang der Stimme und die Prophezeiung hatten sich wie glühende Nadeln in ihr Gehirn gebrannt. Wort für Wort.
Schweià rann ihr am Körper herab, die Haare klebten ihr an Wangen und Kinn. Da hörte sie ein leises Pfeifen. Dreimal kurz, einmal lang.
Animaya fuhr herum. »Warum hast du mich nicht gewarnt!«, zischte sie wütend.
Der Kolibri hockte auf dem Tisch und zuckte nicht einmal mit den Flügeln.
»Ich dachte, du willst mein Geistesführer sein! Dann tu doch was! Hilf mir! Schick mir ein Zeichen, damit ich Wisyas Worte glauben kann.«
Doch Achachi blieb stumm.
»Vielleicht kann ich dir helfen!«, ertönte da plötzlich eine männliche Stimme.
Animaya sprang alarmiert von ihrem Lager. Eine Gestalt kam darunter hervor, schmal und groà gewachsen. Das Licht des Lumenkristalls war zu schwach, um den kleinen Raum auszuleuchten. Trotzdem erkannte Animaya ihren Besucher sofort wieder. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. Vor ihr stand Perlenhaut.
»Wie bist du hier reingekommen?«
Eigentlich müsste ich um Hilfe schreien, dachte Animaya, doch ein unbestimmtes Gefühl hielt sie davon ab.
»Durchs Wasser«, erklärte er leise. »Ich bin den Kanal aufwärts getaucht, bis in das Gehege eurer Lamaguas.«
Animaya gewann langsam ihre Sicherheit zurück. »Und warum das Ganze? Um mich auch noch zu töten, wie den alten Milac?«
Perlenhaut setzte sich auf ihre Decke. Woher nahm er nur dieses unerschütterliche Selbstvertrauen?
»Milac, ist das der General, der am Fluss gestorben ist?«
Animaya
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