Der blutrote Kolibri
fuhr sie den dritten an, »du hältst dein Obsidianmesser ins Feuer, bis die Klinge fast zerspringt.«
Als keiner reagierte, fauchte sie: »Beeilt euch! Oder meint ihr, Tupac wird es freuen, wenn ihr tatenlos zuseht, wie neben euch zwei Lamaguas sterben?«
Animaya biss sich auf die Unterlippe. So scharf durfte niemand auÃer Tupac selbst mit seinen Leibwächtern umspringen. Andererseits hatte Animaya als Geburtshelferin schon mehr als dreiÃig Lamaguafohlen zur Welt gebracht. Und hatte Kapnu Singa sie nicht extra herbeiholen lassen, damit die beiden wertvollen Tiere überlebten?
Die Generäle zögerten noch immer, den Befehlen zu folgen. Als Sumaku jedoch herzzerreiÃend zu röhren begann, sprangen sie trotz ihrer Rüstungen über das Gatter und liefen sich vor lauter Geschäftigkeit beinahe gegenseitig um.
Animaya streichelte dem Muttertier über den gefleckten Hals. Sumaku blähte die Nüstern und schnaubte schwach. Animayas Gesicht spiegelte sich in ihren weit aufgerissenen pechschwarzen Augen.
»Hab keine Angst, meine Gute«, sprach sie der Stute Mut zu. »Wir werden dein Kleines schon an die frische Luft kriegen! â Wo bleibt denn das Wasser?«
Animaya stand kurz auf, lief hinaus zu der Truhe mit Heilpflanzen und durchwühlte sie hektisch. Dann fand sie endlich, was sie suchte: ein paar frische, kugelförmige Blütenköpfe der Parakresse.
Wieder im Stall, zerrieb sie die gelben Blüten auf Sumakus Oberlippe. Sie hoffte, das würde die bevorstehenden Schmerzen wenigstens etwas betäuben. Endlich trug einer der Generäle einen mit Wasser gefüllten Hirschmagen herbei. Hinter ihm kam der zweite mit einem Armvoll Tüchern und dem geölten Faden.
Animaya tauchte ein Tuch aus Vikunja-Wolle in das lauwarme Wasser und säuberte damit gründlich Sumakus geblähten Bauch. Das Fohlen lag schief, spürte Animaya, aber es strampelte kräftig mit den Beinen. Wahrscheinlich hatten seine Hufe dabei die Mutter von innen verletzt und die starke Blutung ausgelöst.
Als Letztes kehrte der General mit dem Obsidianmesser zurück. Er hielt die Klinge in seine brennende Fackel.
Jetzt wird es ernst, dachte Animaya. Der Schweià trat ihr aus allen Poren.
Bei einer normalen, unkomplizierten Geburt saà jeder ihrer Handgriffe. Aber einen solchen Eingriff hatte ihr Vater nur ein einziges Mal vor ihren Augen durchgeführt. Sie atmete tief ein. Vielleicht würde er ihr die Finger führen, wenn sie nur ganz fest an ihn dachte.
Da vernahm sie ein leises Pfeifen. Als sie hochsah, schwirrte zu ihrer Freude Achachi um ihren Kopf. Seine Anwesenheit schenkte ihr Mut.
»Halte ihren Kopf fest!«, befahl sie dem General, der das Obsidianmesser gebracht hatte.
Sie nahm ihm das Messer ab. Es zischte, als sie damit das feuchte Fell an Sumakus Bauch berührte. Ein Blutstropfen verdampfte.
»Gleich ist alles vorbei«, flüsterte sie dem Tier tröstend zu.
Animaya kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, als sie mit dem Messer durch die Haut stach. Sumaku brüllte auf und versuchte trotz der Schmerzen, auf die Beine zu kommen. Ein zweiter General sprang hinzu und drückte das Tier mit aller Kraft auf das Strohlager.
Animaya machte einen langen, halbmondförmigen Schnitt. Dann lieà sie das Messer fallen und tastete sich vor, fand das Fohlen in der Bauchhöhle und zog es samt Fruchtblase vorsichtig auf den Stallboden. Sofort befreite sie die Nüstern des Kleinen von Schleim und Blut. Als das Blöken ihres Nachwuchses an ihr Ohr drang, entspannte sich auch Sumaku.
»Abreiben!«, kommandierte Animaya.
Der dritte General ging in die Knie, nahm ein Büschel Stroh und machte sich widerwillig an die Arbeit.
»Du bist wirklich sehr tapfer!«, lobte Animaya die Stute. Jetzt hatten ihre Finger die Verletzung in Sumakus Bauch gefunden. Sie war sehr tief. Animaya presste die Wundränder fest zusammen. Die Blutung stoppte fast augenblicklich.
Blitzschnell zog Animaya den geölten Faden auf die Nadel und schloss die Wunde mit beherzten Stichen. AnschlieÃend vernähte sie auch den Schnitt, den sie der Stute selbst zugefügt hatte.
Sie konnte nur hoffen, dass Sonnengott Inti es gut mit dem Lamaguaweibchen meinte. Die Tiere hatten eine hohe Widerstandsfähigkeit, und sie hatte alles ihr Mögliche getan, um das Schicksal positiv zu beeinflussen.
Animaya nahm das strampelnde Fohlen dem General aus den Armen
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