Der blutrote Kolibri
Lamaguafohlen etwas damit zu tun. Sonst würden sie doch niemals die Göttertiere töten.«
Animaya nickte. Sie griff auf die Pritsche und warf Wisya ihre warme Jacke zu.
»Schnell! Du und ich, wir reiten nach Norden!«
»Ihr macht ⦠was?« Vinoc knetete seine knöchrigen Finger, als wären sie Brotteig.
»Ihr habt mich schon richtig verstanden! Ich will endlich herausfinden, was Kapnu Singa und Milac im Norden so Schreckliches begegnet ist. Immerhin hat Milac für sein Wissen mit dem Leben bezahlen müssen â davon bin ich inzwischen fest überzeugt.« Einen Moment dachte sie darüber nach, den beiden auch von Perlenhaut zu erzählen, entschied sich dann aber dagegen.
»Sosehr ich Tupac und seine Generäle auch hasse â mein Volk liebe ich über alles. Und ich werde nicht tatenlos abwarten, bis uns der Inka alle ins Verderben stürzt.«
Animayas Stimme bebte vor Entschlossenheit, was Wisya ein kaum sichtbares Lächeln entlockte.
»Beeil dich!«, drängte Animaya sie. »Bevor sich die Wachposten zu sehr über die beiden Lamaguas vor unserer Tür wundern â¦Â«
Doch Wisya schüttelte den Kopf. »Reite mit Vinoc«, schlug sie vor. »Ihr müsst quer durch das Territorium der Spinnenmenschen, da wird er dir nützlicher sein als ich mit meinen Hexensprüchen. Du weiÃt, er kennt die Spinnen gut.«
Automatisch fiel Animayas Blick auf den Stummel an Vinocs rechter Hand, wo der kleine Finger sein sollte. Ein Andenken an die Folterungen dieser Kreaturen während Vinocs Gefangenschaft.
Sie kannte Vinoc seit vierzehn Jahren als wirr redenden, von der Arbeit und dem Leben gekrümmten Bauern und wollte protestieren. Das Bild, das sie von ihrem Nachbarn in der Vollmondnacht gesehen hatte, war beinahe gänzlich verblasst. Doch bevor sie ein Wort herausbringen konnte, fuhr Wisya fort.
»AuÃerdem muss doch jemand hier sein, um euer Fehlen aus den Köpfen der Generäle zu wischen. Wer weiÃ, wie lange ihr wegbleiben werdet.«
Vinoc strich sich die grauen Haare aus der Stirn und streckte seinen gebeugten Körper. Für einen Moment blitzte in seinen Augen wieder die Kraft und Kühnheit auf, die Animaya erst ein einziges Mal bei ihm erlebt hatte.
Trotzdem zögerte sie. Wisya hatte ihre Zauberkraft. Aber wie sollte der alte Mann sie im Dschungel beschützen? Achachi nahm ihr die Entscheidung ab. Er kam hereingeflogen und hockte sich Vinoc auf die Schulter. Damit war die Sache entschieden.
»Also gut.« Animaya lächelte Vinoc unsicher an. »Hauptsache, es geht bald los!«
Jetzt geschah etwas Merkwürdiges. Wisya zog einen Kohlestrich längs der Türschwelle, von einer Seite zur anderen. Kaum war sie damit fertig und somit alles im Raum vor den Blicken der Nachbarn verborgen, legte sich Vinoc auf den Boden der Kammer. Er drückte auf eine fünfeckige Steinplatte, bis sie sich an einem Ende leicht hob, und schob sie zur Seite.
In dem Versteck darunter kam ein prächtiges Schwert zum Vorschein, wie Animaya es bisher nur am Gürtel von Generälen gesehen hatte. An einem armlangen, sauber bearbeiteten Stück Holz waren an zwei Seiten handbreite Obsidiansplitter eingelassen. Vorne bildeten sie eine durchgehende Klinge und auf der Rückseite waren zwischen den Splittern wie bei einer Säge Lücken gelassen. Animaya mochte sich gar nicht ausmalen, was für schreckliche Verletzungen man seinem Gegner damit zufügen konnte. Denn selbst in der Dunkelheit der Kammer funkelte der Obsidian, so scharf war der Stein geschliffen worden. Die Arbeit musste von einem Meister ausgeführt worden sein, nicht von so einem Stümper wie Calico.
Wer bist du wirklich?, durchzuckte es Animaya. Ein Bauer jedenfalls nicht. Und wahrscheinlich war das auch besser so, wenn sie im Dschungel ihr Leben in seine Hand legte.
Vinoc grinste verlegen, als wollte er sich auf diese Weise für all die Jahre der Täuschung bei seiner jungen Nachbarin entschuldigen.
Animaya ermutigte ihn mit einem Nicken. Mittlerweile hatte sie zu viel erlebt, um dieses Versteckspiel noch persönlich zu nehmen.
Vinoc band sich das Schwert mit einem Strick fest an die Seite seines Körpers und warf seine löchrige Jacke darüber.
Wisya reichte ihm einen länglichen Flaschenkürbis.
»Wasser von der Mondquelle. Kommt heil wieder!«
Die Yatiri drückte ihrem Mann einen Kuss auf die
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