Der blutrote Kolibri
Krokodilreiter sein Tempo. SchlieÃlich hielt er an und sprang ab. Animaya roch den Gestank, der sie schon am Morgen geekelt hatte. Den Geruch der Toten. Widerwillig rutschte auch sie von Kapka herunter.
Perlenhaut gab den beiden Lamaguas den letzten Rest Wasser aus seiner Kürbisflasche zu trinken. »Das Flusswasser rühren sie nicht mehr an«, erklärte er Animaya.
Dann beugte er sich über Kapkas Ohr. »Lauft zurück zur Stadt, hört ihr? Haltet euch am Flussufer vor der groÃen Mauer auf. Esst euch satt, wir werden euch noch brauchen.«
Kapka und der andere Hengst blähten die Nüstern. Gehorsam drehten sie sich um und galoppierten ohne ihre Reiter davon.
»Spinnst du?«, fragte Animaya auÃer sich. »Wie sollen wir denn jetzt nach Paititi kommen?«
Perlenhaut antwortete nicht. Er legte die Hände wie einen Trichter vor den Mund und stieà einen merkwürdigen tiefen Ruf aus. Gleich darauf wurde die Oberfläche des Flusses aufgewühlt und zu Animayas Entsetzen schwamm ein riesiges Krokodil auf sie zu, lang wie drei Menschen.
»Das ist Gator«, erklärte Perlenhaut. »Wenn ich bei dir bin, musst du vor ihm keine Angst haben.«
»Ich hab keine Angst«, empörte sich Animaya, aber es klang nicht sehr überzeugend.
Gator schob sich an Land. Als er sein gewaltiges Maul aufriss, stieà Animaya einen spitzen Schrei aus und sprang zurück.
»Wir schreien auch immer, wenn wir keine Angst haben«, sagte Perlenhaut lachend. »Na los, steig auf!«
Er strich der Riesenechse so zärtlich über die Wangen, als wäre es ein flauschiges Lamaguafohlen.
Animaya schlug die Hand aus, die er ihr zu Hilfe reichte, und kletterte auf das Krokodil. Zwischen den Beinpaaren waren breite Gurte angebracht, an denen Perlenhaut seine Waffen festmachte.
»Auf gehtâs, Dicker!«, sagte Perlenhaut freundlich und stupste das Krokodil an. Gator schnaufte durch seine kleinen Nasenlöcher und watschelte einen Bogen. Es wirkte unbeholfen, aber Animaya wusste, wie schnell diese Tiere werden konnten. Mit welcher Geschwindigkeit sie ahnungslos am Ufer trinkende Hirsche packen und in Stücke reiÃen konnten.
Kurz bevor Gator ins Wasser glitt, setzte sich Perlenhaut ganz dicht vor sie. Nun konnte sie sein Haar riechen und seine Haut. Sie spürte ihr Herz an seinem Rücken schlagen. Und als das Krokodil mit kräftigen Bewegungen losschwamm, schlang sie Halt suchend die Arme um ihn. Wie selbstverständlich.
Lange durchschnitten sie so die Nacht. Ein Krokodil mit zwei Reitern, als wären die drei zu einer Einheit verschmolzen. Genauso lautlos wie der Mond über den Himmel wanderte, glitten sie durch das Wasser dahin.
SchlieÃlich unterbrach Perlenhaut die Stille, indem er Animaya fragte: »Sag mal, wie hast du mich auf dem Baum genannt, als du mich vor den zwei Spinnenmenschen warnen wolltest?«
Sie spürte, wie sie rot wurde, doch das konnte er ja zum Glück nicht sehen. »Ach, das war nur â¦Â«
»Sagâs einfach!«
»Na ja, ich kenne doch deinen richtigen Namen nicht, und da habe ich dir halt selbst einen gegeben â¦Â«
Perlenhaut wandte den Kopf zu ihr um. »Und welchen?«
Animaya blickte in die dunkle Nacht, während er sie weiterhin ansah. Die Bäume waren nicht mehr als schwarze Umrisse einer Traumlandschaft. Der Mond strahlte den Wald an. Sein Ebenbild spiegelte sich im Fluss, dessen sanfte Wellen Gators Rücken überspülten. Vor ihr ein Junge aus dem Stamm, der ihren Vater ermordet hatte. Und doch musste sie ihm vertrauen, war auf seine Hilfe angewiesen.
»Perlenhaut â so habe ich dich genannt. Als wir uns das erste Mal sahen, warst du gerade aus dem Fluss gestiegen. Die Wassertropfen rannen an deiner Brust herab und erinnerten mich an die Perlen der Flussauster.«
Perlenhaut strich Animaya die Haare aus dem Gesicht. »Das ist sehr schön«, wisperte er. »Eigentlich heiÃe ich Natan, aber du hast den passenderen Namen gefunden.«
Animaya klopfte das Herz bis zum Hals. So nah war sie dem Gesicht eines Jungen noch nie gekommen. Seine Lippen waren nur noch eine Handbreit von ihren eigenen entfernt. Seine herrlich geschwungenen Lippen. Plötzlich sehnte Animaya sich nach einem Kuss dieses Fremden. Verzehrte sich so sehr danach, dass die Geschehnisse des Tages, die Gefahr in der sie alle schwebten, die drohende Vernichtung durch Goliath, für einen
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