Der Bodyguard: Zwischen High Society und Unterwelt (German Edition)
verrückt, aber ich habe meine Postkarre mit den Briefen einfach auf den Beifahrersitz gestellt und bin dann damit in meinen Bezirk geschossen. Natürlich hatte ich auch schon damals Neider. Aber die meisten meiner Kollegen waren sehr nett. Und manche haben mich sogar bewundert: für meine Kickboxkarriere und auch für meinen Lebensstandard. Als Postzusteller verdiente ich ja eigentlich recht wenig, und es war für mich schon ziemlich cool, sich die eine oder andere Sache kaufen zu können, weil ich mein Gehalt durch den Sport aufbessern konnte. Ich kam eben aus einfachen Verhältnissen und war stolz, mir was leisten zu können. Heute weiß ich, dass das albern war.
Wenn ich dann meine Runde gemacht hatte, fuhr ich mit dem Wagen und der Postkarre zum Volkspark Rehberge, um eine Stunde zu joggen. Dann war es meist kurz vor 12 Uhr mittags, und ich bin aufs Amt zurück und machte meine Abrechnung. Es gab immer mal Briefe, die man nicht ausliefern konnte, da musste man dann das Nachnahmegeld abrechnen. Wäre ich direkt nach dem Austragen zurück zum Postamt, hätten sie mir einen größeren Bezirk gegeben. So konnte ich die Zeit schon mal zum Trainieren nutzen.
Anschließend war Mittagspause, entweder in der Postkantine oder zu Hause bei meiner Mutter. Mir war zu Hause bei meiner Mutter oder meiner damaligen Frau Martina am liebsten, besonders, wenn es Spaghetti Bolognese oder Milchreis mit Zucker und Zimt gab, mein Lieblingsessen. Danach hielt ich immer ein kleines Nickerchen. Ist ja auch nicht verwunderlich, wenn man täglich um 4.30 Uhr morgens aufsteht. Um Viertel nach drei gab es dann noch ein Stück Kuchen mit einer Tasse Kaffee. Das ist mein Ritual, das mache ich jeden Tag, noch heute: Kuchen und Kaffee um Viertel nach drei.
Martina und ich lernten uns mit 14 Jahren kennen. Wir saßen uns in der Schule gegenüber und schauten uns immer etwas verlegen an. Ich war sehr schüchtern. Sozusagen noch grün hinter den Ohren! Und klein war ich auch. Einssiebenundsechzig. Das hat mich aber nie gestört, und ich glaube, ich habe deswegen auch keine komischen Komplexe. Trotzdem traute ich mich erst nach einer ganzen Weile, Martina zu fragen, ob sie mit mir ins Kino will. Wie man sich vielleicht denken kann, lud ich sie in einen Kampfsportfilm ein. Wir saßen weit hinten, und den ganzen Film über dachte ich: Ich muss sie küssen! Es war schon fast wieder hell im Kino – dann passierte es endlich, auf den letzten Drücker. Der erste Kuss.
Seitdem waren wir ein Paar. Mit 18 zogen wir dann zusammen, mit 24 heirateten wir, und 1990 kam unsere Tochter Angelina zur Welt. Wir waren dann in den folgenden Jahren öfter getrennt. Ich war zugegebenermaßen nicht immer treu. 2000 lernte ich meine jetzige Lebensgefährtin Diana kennen. Mit ihr habe ich jetzt eine weitere kleine Tochter, Vivien.
Zwischen 20 und 30 zog sich – neben Beziehung und Beruf – meine Sportkarriere wie ein roter Faden durch mein Leben. Nach meiner täglichen Kaffeepause am Nachmittag bin ich immer gleich ins Training. Der Sportstall von Peter Blankenburg lag nur ein paar U-Bahn-Stationen entfernt, in Reinickendorf. Das Training begann immer mit 30 Minuten Aufwärmen: Gymnastik und Stretching. Anschließend machten wir Technik- beziehungsweise Sandsacktraining, Partnerübungen oder Sparring.
Bei den Partnerübungen trainierten wir häufig mit sogenannten Pratzen. Pratzen sind eine Art große Lederteller, die sich dein Gegenüber auf die Hände zieht, so dass man dann dagegenschlagen und -treten kann. So übt man bestimmte Kombinationen immer wieder, bis man sie aus dem ff beherrscht. Im Sparring wendet man das Erlernte dann mit einem »echten« Gegner an, das heißt, man tritt wie unter Wettkampfbedingungen gegeneinander an, aber mit gelegentlichen Unterbrechungen und Hinweisen durch den Trainer.
Bei Peter Blankenburg war das Sparring mal hart, mal locker. Für mich war es meistens ziemlich hart, da mir meine Trainingspartner oft körperlich überlegen waren. Mir kam es manchmal wie die Hölle vor. Aber da ich ein klares Ziel vor Augen hatte, quälte ich mich gerne tagtäglich. Und letztlich wurde mein hartes Training mit unzähligen Siegen und Pokalen belohnt.
Schon mit 17 fing ich an, selbst als Trainer zu arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits Vizeweltmeister bei den Senioren. Zu den Senioren zählt man eigentlich erst ab 18 Jahren, im Alter von 16 bis 18 Jahren gehört man zu den Junioren. Die meisten, die bei mir trainierten, waren
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