Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
beschreibt seine Vorstellungen von einem
Sozialstaat, „der versorgt und ermächtigt", und einem Land, in dem
ethnische und religiöse Minderheiten ihren Platz in der Gesellschaft
haben. An dieser Stelle lobt er seinen Vorgänger für die „nachhaltigen
Impulse", die Wulff während seiner Amtszeit gegeben habe, und verspricht, diese Arbeit fortzusetzen. Gauck wirbt dafür, Europa zu bewahren, warnt vor einem Rückfall in den Nationalstaat in Zeiten der
Krise, preist die aktive Bürgergesellschaft und die wehrhafte Demokratie mit Sätzen wie diesem: „Wir lassen uns unsere Demokratie nicht wegnehmen", und schreibt den Rechtsextremisten ins Stammbuch:
„Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich."
Die Rede macht deutlich, dass Gauck die Forderung in den Wochen
vor seiner Wahl verstanden hat, dass er inhaltlich mehr bieten müsse
als nur sein Dauerthema Freiheit. Gaucks Vereidigung ist trotz der
Würdigung, die Christian Wulff nach vielen Wochen der Demütigung
erfährt, vielleicht dennoch der Moment der größten Erniedrigung für
ihn. Nicht einmal zwei Jahre nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten
sitzt er wieder an genau demselben Ort, aber nicht als Präsident, sondern als Gescheiterter, neben dem Mann, gegen den er sich mühsam
durchgesetzt hat und der nun an seiner Stelle doch noch Bundespräsident geworden ist. Es scheint, als ginge es an diesem Tag darum, die
Geschichte zu korrigieren, einen Fehler zu berichtigen. Im Raum steht
eine einzige Frage: Warum nicht gleich so?
Die öffentlichen Auftritte bei Zapfenstreich und Vereidigung zeigen
einen Mann, der gezeichnet ist. Danach ist Wulff für Monate in der
Öffentlichkeit nicht mehr zu sehen. Im Juni feiert er in seinem Haus in
Großburgwedel seinen 53. Geburtstag. Zu den Gästen gehören neben
vielen privaten die politischen Freunde Peter Hintze und Philipp Rösler.
Doch auch alte Weggefährten sind dabei, wie Olaf Glaeseker. Seit der
Trennung der ehemals „siamesischen Zwillinge" ist ein halbes Jahr vergangen. Zwei Wochen vor der Geburtstagsfeier besuchte Wulff Glaeseker in seinem Haus in Niedersachsen am Steinhuder Meer, es war die
erste persönliche Begegnung, seit Glaeseker als Sprecher ausgeschieden
war. Davor gab es nur einen kurzen Kontakt über SMS Anfang Januar,
auf dem Höhepunkt der Krise nach Bekanntwerden der Mailbox-Nachricht. In der SMS bittet Glaeseker Wulff um einen Gefallen: Er möge
ihm bestätigen, dass er von Glaesekers Urlaubsaufenthalten bei Manfred
Schmidt, dem Organisator des Nord-Süd-Dialogs, gewusst habe, was
Glaeseker gegenüber der Staatsanwaltschaft entlasten soll. Wulff weigert
sich, er lässt Glaeseker hängen. Danach ist lange Funkstille.
Im Laufe des Sommers zeigt sich Olaf Glaeseker gelegentlich in
Berlin, doch die laufenden staatsanwaltlichen Ermittlungen hindern
ihn daran, einen neuen Job zu finden. Finanziell ist er naturgemäß
nicht so weich gefallen wie sein ehemaliger Chef: Nach seiner Beurlaubung bekommt Glaeseker noch drei Monate lang sein volles Gehalt
und schließlich noch für ein Jahr um 30 Prozent reduzierte Bezüge.
Die Einladung zum Geburtstag soll das ramponierte Verhältnis zwischen Ex Präsident und Ex-Sprecher wieder reparieren, doch der Versuch erweist sich als nicht nachhaltig. Im Zuge der staatsanwaltlichen
Ermittlungen kommt es schließlich zum Bruch, als Wulff im Ermittlungsverfahren gegen Glaeseker aussagt. Dabei lädt Wulff die Verantwortung für die Organisation der Eventreihe Nord-Süd-Dialog in
Hannover, als er noch Ministerpräsident war, bei seinem ehemaligen
Sprecher ab. Von Glaesekers Urlauben beim Eventmanager Manfred
Schmidt will er nichts gewusst haben, selbst von einem Urlaubsaufenthalt nicht, bei dem seine Tochter Annalena die Glaesekers begleitet
hat. Die Staatsanwaltschaft unterstellt Glaeseker, dass die kostenlosen
Ferien in Urlaubsdomizilen von Schmidt eine Gegenleistung für das
Geschäft mit dem Nord-Süd-Dialog gewesen seien. Danach ist das
Verhältnis zwischen Wulff und Glaeseker zerbrochen.
Im September 2012 veröffentlicht Bettina Wulff ein Buch mit dem
Titel „Jenseits des Protokolls". Es wird von denen, vor allem in der
Politik und im Präsidialamt, die Christian Wulff noch mit Wohlwollen begegnen, mit sprachlosem Entsetzen aufgenommen und in den
Medien zerrissen. Was Bettina Wulff angetrieben hat, das Buch zu
schreiben, bleibt ihr Geheimnis. Es entsteht mithilfe einer Ghostwriterin, die bereits
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