Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Christian Wulff hat in den ersten Tagen so gut wie
niemand auf dem Schirm, obwohl er von Anfang an Merkels Favorit
ist. Tatsächlich laufen die Medien zunächst in eine völlig andere Richtung. Gehandelt werden Namen wie Bundestagspräsident Norbert
Lammert, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und vor allem
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen. Letztere trägt ihren
Teil dazu bei, die Spekulationen über ihre Favoritenrolle noch zu befeuern. Bei einer Pressekonferenz am Dienstag in ihrem Ministerium,
bei der es um die jüngsten Arbeitsmarktzahlen geht, wird von der
Leyen danach gefragt, ob sie Kandidatin für das Bellevue sei. Von der
Leyen orakelt daraufhin, dass man sich in der „Zeit der Spekulationen"
befinde und es darum gehe, „unter hohem Zeitdruck eine gute Lösung
für dieses Land" zu finden. Eine abschließende Geste sorgt dafür, dass
sie es in alle Nachrichtensendungen schafft: Die Bemerkung „Und
deshalb gilt für mich ..." lässt sie in der Luft hängen und macht mit
den Fingern eine Bewegung, als würde sie sich den Mund wie einen
Reißverschluss verschließen. Die Medien interpretieren das als Bestätigung der Gerüchte, dass von der Leyen zu Recht als Favoritin gehandelt wird. Jedoch zu Unrecht: Zwar ist ihr Name im Gespräch, tatsächlich aber hat Angela Merkel bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt
nicht mit von der Leyen gesprochen. Die Kanzlerin lässt die Dinge
laufen und verzichtet darauf, steuernd einzugreifen. Die Medien bekommen keinerlei Hinweise aus dem Kanzleramt oder über Merkels
Kommunikationskanäle, dass die Berichterstattung mit dem, was tatsächlich hinter den Kulissen passiert, nur wenig zu tun hat.
Wie jede Woche tagt am Mittwochmorgen im Kanzleramt das
Kabinett. Als man auseinandergeht, habe sich Ursula von der Leyen mit der Bemerkung an die Kanzlerin gewendet, wann man denn
einmal reden wolle, erinnert sich ein Teilnehmer der Runde. Angela
Merkel habe darauf nur kurz geantwortet, sie werde sich schon melden, wenn es etwas zu reden gebe. Auch den gesamten Mittwoch wird
Ursula von der Leyen in den Medien noch als Favoritin der Kanzlerin
für die Präsidentschaftskandidatur gehandelt und der Eindruck erweckt, die Sache sei schon gelaufen. Spiegel Online schreibt bereits
unter dem Titel „Operation Röschen", von der Leyens Spitzname,
über „Merkels Kandidatin von der Leyen" und will erfahren haben,
dass die FDP bereits ihre Zustimmung gegeben habe. Auch auf den
meisten Titelseiten der Tageszeitungen wird Ursula von der Leyen am
Mittwoch bereits mit präsidialem Lächeln abgebildet und als Merkels
Favoritin für das Amt präsentiert. Die Sache scheint gelaufen. Nur
ganz vereinzelt taucht der Name Christian Wulff im Zusammenhang
mit dem Kandidaten-Poker ums Bellevue auf. Die Kanzlerin nimmt
damit in Kauf, dass ihre Arbeitsministerin am Ende wie eine Verliererin dasteht. Erst am Mittwochnachmittag interveniert Regierungssprecher Ulrich Wilhelm und ruft einige Journalisten an, um die
Berichterstattung einzufangen. Zu diesem Zeitpunkt wird in den
Medien bereits munter darüber spekuliert, was es bedeute, wenn zwei
Frauen an der Spitze des Landes stünden und wie es wohl für Heiko
von der Leyen sein werde, künftig ein Leben als „First Man" der
Bundesrepublik Deutschland zu führen.
Sosehr die Kanzlerin in Kauf nimmt, dass Ursula von der Leyen
düpiert wird, sosehr nutzt ihr das Ablenkungsmanöver. Es gelingt Merkei auf diesem Wege, ihren wahren Favoriten geheim zu halten und zu
verhindern, dass er in der Öffentlichkeit „zerredet" wird, bevor die
Sache unter Dach und Fach ist. Dabei läuft die Kandidatensuche bereits
zu einem sehr frühen Zeitpunkt auf den Niedersachsen Christian Wulff
hinaus. Am Dienstagnachmittag ruft Angela Merkel bei Wulff in Hannover an. Die Kanzlerin bittet ihn, nach Berlin zu kommen, um mit ihr im Kanzleramt zu Abend zu essen. Wulff sagt zu, muss jedoch am
Abend zunächst an einer Expo-Jubiläumsfeier in Hannover teilnehmen.
Am späten Nachmittag ruft er seine Frau Bettina an und fragt sie, ob
sie mit nach Berlin kommen will. Während der Zugfahrt besprechen
die beiden, was bei dem Termin mit der Kanzlerin herauskommen
könnte. Erst um 21 Uhr treffen die Wulffs in Berlin ein. Bettina Wulff
fährt nicht mit ins Kanzleramt, sondern trifft sich mit einem gemeinsamen Freund der Wulffs zum Essen. Es ist eine Ironie der Geschichte,
dass es sich dabei um David Groenewold handelt, den Mann also, über
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