Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
den Christian Wulff im Februar 2012 letztlich stürzt. Als Wulff an
diesem 1. Juni ins Kanzleramt fährt, geht er nicht davon aus, dass die
Kanzlerin ihn fragen wird, ob er Bundespräsident werden wolle. Wulff
rechnet vielmehr damit, dass es vermutlich auf Wolfgang Schäuble
hinausläuft und dadurch eine Kabinettsumbildung nötig würde. Für
Wulff könnte das bedeuten, dass die Kanzlerin ihm einen Kabinettsposten anbietet. Im Zug von Hannover nach Berlin sprechen die Wulffs
die Optionen durch und einigen sich darauf, dass sie dann lieber in
Hannover bleiben wollen.
Doch das Gespräch im Kanzleramt läuft anders als erwartet: Merkei legt Wulff die Ausgangslage nach Köhlers Rücktritt dar und fragt
ihn schließlich, ob er sich vorstellen könne, Bundespräsident zu werden. Die beiden sprechen über die Vor- und Nachteile des Amtes,
darüber, was es für Wulff bedeuten würde, sich aus der Tagespolitik
zu verabschieden und sich den fast ausschließlich repräsentativen Aufgaben des Staatsoberhaupts zu widmen. Und darüber, wie es wohl
wäre, wenn ein vergleichsweise junger Präsident an der Spitze des Staates stünde, mit einer jungen Frau und kleinen Kindern. Wulff bittet
sich Bedenkzeit aus, sagt aber, dass er sich das zutrauen würde. Verbindungen zu schaffen zwischen Menschen, das liege ihm, erklärt
Wulff der Kanzlerin. Er will die Sache aber in Ruhe mit seiner Frau
besprechen.
Die Nachricht, die Christian Wulff seiner Frau nach dem Essen im
Kanzleramt überbringt, schafft eine völlig neue Situation. Bettina
Wulff ist skeptisch. Der Umzug nach Berlin, weg von Freunden und Familie, die Auswirkungen auf die Kinder - all das lässt sie zweifeln,
ob die Entscheidung für das Bellevue die richtige wäre. In Hannover
diskutiert das Paar gemeinsam mit Wulffs engsten politischen Vertrauten, mit Regierungssprecher Olaf Glaeseker und dem Chef der
Staatskanzlei, Lothar Hagebölling, wie sie mit dem Angebot der Kanzlerin umgehen wollen. Für Christian Wulff besteht kein Zweifel, er
will Bundespräsident werden, und am Ende willigt auch seine Frau
ein. Wulff informiert Angela Merkel am Mittwochmittag per Telefon
darüber, dass er bereit sei, als Kandidat von Union und FDP ins Rennen zu gehen. Die Kanzlerin ist zufrieden. Sie müsse nun sehen, ob sie
die Entscheidung in der Partei und der Koalition durchbekomme, sagt
Merkel. Guido Westerwelle schwört seine Partei am Abend zuvor auf
einen gemeinsamen schwarz-gelben Kandidaten ein. Als Merkel mit
Wulff beim Abendessen saß, verständigte sich die FDP-Spitze bei einer
Schaltkonferenz darauf, auf einen eigenen FDP-Kandidaten zu verzichten.
Parallel dazu nimmt die Kandidatensuche bei SPD und Grünen
konkrete Formen an. Zunächst versucht Frank-Walter Steinmeier, der
Chef der SPD-Bundestagsfraktion, und dann Grünen-Fraktionschef
Jürgen Trittin, Joachim Gauck auf seinem Handy zu erreichen. Gauck
ist gerade in Madrid. Er sagt zu unter der Bedingung, nicht als rot
grüner, sondern als überparteilicher Kandidat ins Rennen zu gehen.
Politisch fühlt er sich dem bürgerlichen Lager näher als dem rot-grünen. Dass gerade die Grünen ihn nominieren wollen, schmeichelt ihm.
Zu Gaucks Schwächen gehört eine erhebliche Portion Eitelkeit. Genüsslich erzählt er in den darauffolgenden Tagen, wie sehr es ihn amüsiert habe, gerade von dem Altlinken Jürgen Trittin angerufen worden
zu sein. So nahe Gauck sich dem bürgerlichen Lager fühlt, so enttäuscht ist er aber auch von ihm. Als er im Jahre 2000 nach zehn
Jahren als Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde ausschied, bekam er nicht
viel mehr als einen Blumenstrauß und einen warmen Händedruck. Die Politik wandte sich schnell von ihm ab. Gauck hatte sich mehr
erwartet, vor allem von der Union. 1999 brachte ihn die CSU bereits
als Präsidentschaftskandidaten der Union gegen Johannes Rau ins Gespräch, ein Jahr, bevor er die Gauck-Behörde verließ. Die Präsidentschaftskandidatur im Juni 2010 ist für Gauck auch eine Möglichkeit,
das bürgerliche Lager ein wenig zu provozieren.
Am Mittwochmittag, als Christian Wulff die Kanzlerin anruft,
greift auch Sigmar Gabriel zum Handy und schickt eine SMS von
beachtlicher Länge an Angela Merkel. Darin schlägt er ihr Joachim
Gauck als möglichen gemeinsamen Kandidaten vor „für den Fall, dass
die Meinungsbildung über einen Personalvorschlag innerhalb der Koalition noch nicht abgeschlossen sein sollte". Für seinen Personalvorschlag könne er
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