Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Positionen beim
Thema Integration und Zuwanderung, aber auch mit seiner Wirtschaftskompetenz in Zeiten der Eurokrise. Hinzu kommt, dass er in
der Bevölkerung über hohe Sympathiewerte verfügt. Auch die Tatsache, dass Wulff Berufspolitiker ist, spricht aus Merkels Sicht für ihn.
Nach dem Rücktritt von Horst Köhler sieht es so aus, als sei das Experiment, einen politischen Quereinsteiger zum Bundespräsidenten zu
machen, erst einmal gescheitert. Es spricht einiges dafür, sich für einen
Politprofi im Bellevue zu entscheiden, für einen, der mehr Stehvermögen mitbringt als Horst Köhler seinerzeit. Zudem rechnet Merkel damit, dass Christian Wulff ihr keine Probleme machen wird. Zumindest
hat er als niedersächsischer Ministerpräsident offene Auseinandersetzungen mit Merkel vermieden, im Unterschied etwa zu Roland Koch
in Hessen. Wulff ist für Merkel eine bequeme Lösung. Sehr bald muss
die Kanzlerin allerdings feststellen, dass ihre Argumente für Christian
Wulff wenig Überzeugungskraft besitzen, vor allem wenn der Gegenkandidat Joachim Gauck heißt.
Vieles von dem, was aus Merkels Sicht für Wulff spricht, wird ihm
in den Wochen zwischen Nominierung und Wahl zum Nachteil ausgelegt. Vor allem für die Medien und damit auch in wachsendem Maße für die Bevölkerung hat der rot grüne Kandidat wesentlich mehr
„Charme". Am Morgen nach der Präsentation des schwarz-gelben
Kandidaten laden SPD und Grüne ins Haus der Bundespressekonferenz, um ihrerseits ihren Kandidaten Joachim Gauck als überparteiliche Alternative vorzustellen. Gauck fühlt sich zunächst nicht ganz
wohl in seiner Haut. Die Parteichefs von SPD und Grünen eröffnen
ihm vor der Pressekonferenz, dass man ihm in den Wochen bis zur
Wahl Berater an die Seite stellen werde, den Grünen Andreas Schulze
und Johannes Sturm aus der SPD-Parteizentrale. Gauck ist nicht begeistert. Er hat eigene Weggefährten im Sinn, die er um sich haben
will, wie David Gill und Johannes Legner, beide unter Gauck Pressesprecher bei der Stasiunterlagen-Behörde. Gauck fühlt sich von den
Parteichefs überrumpelt. Doch die zeigen sich großzügig, man werde
ihm alle Personalwünsche erfüllen.
Auch in der Pressekonferenz muss Gauck schlucken, denn SPDChef Gabriel greift zum parteipolitischen Holzhammer. Mit herabsetzenden Formulierungen beschreibt Gabriel die Vorzüge Gaucks gegenüber Wulff. „Joachim Gauck bringt ein Leben mit in seine Kandidatur, und der Kandidat der Koalition bringt eine politische Laufbahn
mit", ein Satz, den jeder selbst ergänzen darf. Wulff bringt kein Leben
mit. Gauck ist wenig erfreut darüber, das ist nicht sein Stil. GrünenChef Cem Özdemir legt hingegen treffsicher den Finger in die Wunde, indem er meint, dass es einige bei der Union, vor allem in den
ostdeutschen Ländern, geben werde, „die sich sehr ernsthaft überlegen
werden, ob sie der Parteilogik oder ob sie ihrem Herzen und Verstand
folgen wollen". Gauck selbst macht bei seiner Vorstellung eine hervorragende Figur, präsentiert sich als parteiübergreifender Kandidat, der
„sehr viel von der Bundeskanzlerin" hält, und gibt Kostproben seines
rhetorischen Talents mit Botschaften, die berühren. Der Mutmacher
Gauck wendet sich gegen eine „verängstigte, westeuropäische Sorgenmentalität" und stellt fest: „Angst macht kleine Augen, sie ist menschlich, aber sie ist nicht der Ratgeber, der Fantasie, Kraft und Zukunft
in uns entstehen lässt." Das klingt ziemlich genau nach dem, was man
von einem Bundespräsidenten hören möchte.
Die Medien treffen ihre Wahl
is zur Bundesversammlung am 30. Juni gelingt es Joachim
Gauck, sich als „Kandidat der Herzen" zu etablieren. Einen
wesentlichen Anteil daran hat die Auseinandersetzung, die in
den Medien um die Frage geführt wird, wer der bessere Kandidat ist.
Dabei wird sehr schnell deutlich, dass die Sympathien der Medien klar
aufseiten von Joachim Gauck sind. Der Spiegel bezieht klar Position
und titelt „Joachim Gauck. Der bessere Präsident". Darin wird Wulff
als „Mann ohne Eigenschaften" und ohne Botschaft beschrieben, als
„undeutlicher Widersacher von Merkel". Wulff sei einer, der die offene
Konfrontation mit der Kanzlerin scheue, sondern lieber hinter ihrem
Rücken über sie lästere, sowie jemand, der in seinem Leben wenig
anderes gemacht habe als Politik. Im Grunde wird damit auch der
Typus des Berufspolitikers insgesamt deklassiert. Demgegenüber überhöht der Spiegel Gauck im
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