Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Berufspolitikers bei einzelnen Medien generell nicht hoch im Kurs steht.
Der Spiegel spricht vom Duell „Mensch gegen politischen Menschen",
bei dem die Sympathien bei Joachim Gauck liegen dürften. Zu Wulffs
Nachteil wirkt sich auch aus, dass man trotz der vielen Jahre, die er in
der Politik ist, kein Thema mit ihm verbindet. Wulff steht für nichts.
Er gilt als farbloser Provinzpolitiker ohne Ecken und Kanten. Dass er
tatsächlich einer der erfolgreichsten CDU-Spitzenpolitiker und beliebtesten Politiker überhaupt ist, macht ihn sogar eher verdächtig, da
diese Beliebtheit nicht zuletzt auf seine guten Beziehungen zur BildZeitung zurückgeführt wird.
Wulff gilt als einer, der das Spiel der medialen Selbstinszenierung
beherrscht, der eher durch Schein präsent ist als durch streitbare Inhalte. Er ist einer, der sich mit dem Boulevard eingelassen hat, was den
seriösen Journalismus prinzipiell abstößt. Hier gibt es durchaus Parallelen zwischen Wulff und dem Boulevard-Liebling Karl-Theodor zu
Guttenberg. Dass Wulff ein Ministerpräsident mit durchaus erfolgreicher Bilanz ist, spielt am Ende keine große Rolle. Die Ablehnung, mit
der die Medien ihm im Juni 2010 begegnen, überrascht, verletzt und verunsichert ihn. Joachim Gauck hingegen, der Kandidat der Herzen,
erlebt die Wochen bis zur Bundesversammlung wie im Rausch. Trotz
der eindeutigen Mehrheitsverhältnisse zugunsten des schwarz-gelben
Kandidaten entsteht der Eindruck, als gäbe es einen Präsidentschaftswahlkampf mit offenem Ausgang. Immer wieder müssen sich Gaucks
Mitarbeiter in dieser Zeit daran erinnern, dass es zwei Realitäten gibt:
die Sympathiewelle in den Medien und bei zahlreichen Begegnungen
und Veranstaltungen sowie die machtpolitische Realität in der Bundesversammlung, zwischen denen es keine Übereinstimmung gibt. Im
Februar 2012 kann Gauck an die Bekanntheit und die Beliebtheit
anknüpfen, die er sich im Juni 2010 erwirbt, er muss niemanden mehr
überzeugen, dass er für das Amt geeignet ist. Insofern ist Gauck rückblickend schon Ende Juni 2010 der eigentliche Gewinner des Wettbewerbs um die Präsidentschaft. Wäre die Krise um Christian Wulff aber
ausgeblieben, dann wäre seine Kandidatur zu einer Fußnote der Geschichte geworden.
Widerstand im eigenen Lager
icht nur die Medien nehmen Anstoß daran, dass die Wahl
des neuen Staatsoberhaupts im Juni 2010 zum Gegenstand
parteipolitischer Machtfragen wird. Die Diskussion um die
Präsidentschaftsbewerber in den Medien wird ganz wesentlich dadurch befeuert, dass Delegierte in den Reihen von Union und FDP
in den drei Wochen bis zur Bundesversammlung öffentlich erklären,
dass sie Joachim Gauck für den besseren Kandidaten halten. Besonders lebhaft wird in der FDP darüber diskutiert. Hier erklärt mit
Holger Zastrow in Sachsen ein führender ostdeutscher Liberaler und
Vertrauter von Parteichef Westerwelle, dass er den Kandidaten von
Rot Grün nicht nur besser geeignet findet, sondern auch wählen wird.
Auch Bremens FDP-Landeschef Oliver Möllenstädt erklärt öffentlich,
für Gauck stimmen zu wollen. Die FDP-Spitze nimmt das letztlic hin. Das öffentliche Bekenntnis einzelner FDP-Politiker zu Gauck
führt dazu, dass zumindest in der Öffentlichkeit primär die FDP als
Unsicherheitsfaktor für die Wahl von Christian Wulff wahrgenommen wird.
Intern sieht man das bei der Union anders. Den Parteispitzen von
CDU und CSU ist sehr bald bewusst, dass man ein Problem hat. Nicht
dass die Wahl von Wulff ernsthaft gefährdet wäre, denn dann müssten
schwarz-gelbe Delegierte in der Bundesversammlung in Scharen für
Gauck stimmen, aber das Ziel, mit der Präsidentenwahl ein klares
schwarz-gelbes Signal zu senden, scheint sehr wohl gefährdet. So verzichtet die Union darauf, prominente NichtPolitiker als Delegierte für
die Bundesversammlung zu nominieren, um kein unnötiges Risiko
einzugehen. Dabei erinnert man sich an schlechte Erfahrungen bei
früheren Bundesversammlungen: So stimmt Gloria von Thurn und
Taxis, die 2004 für die CSU an der Bundesversammlung teilnimmt,
nicht für den Kandidaten der Union, Horst Köhler, sondern für die
SPD-Kandidatin Gesine Schwan. Im Juni 2010 sorgt für Aufmerksamkeit, dass die Thüringer CDU-Politikerin Dagmar Schipanski, ExLandtagspräsidentin und selbst einmal CDU-Präsidentschaftskandidatin, von ihrem CDU-Landesverband nicht als Delegierte aufgestellt
wird. Schipanski macht ihrem Ärger öffentlich Luft und
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