Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Bundespräsidenten erwidern solle, wenn der ihn
nach Freikarten für seinen neuen Film fragen würde. Mit seinem flotten Spruch wird Weingartner überall in den Medien zitiert.
Allerdings haben nicht alle das Bedürfnis, ihre Kritik an Wulff in
derart bissiger Weise zu formulieren. Der Regisseur Volker Schlöndorff
sagte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, er habe sich über die Einladung gefreut, um dann hinzuzufügen: „Ich finde es sehr gut, wenn
der Bundespräsident sieht, dass es im deutschen Film auch noch andere Leute gibt als Herrn Groenewold." Er selbst wäre gerne gegangen,
aber es gebe einfach zu viele Empfänge in Berlin. Dass der Bundespräsident nun gerade die Berlinale zum Anlass nimmt, im Bellevue zur
gesellschaftlichen Routine zurückzukehren, entbehrt nicht einer gewissen Ironie angesichts der Tatsache, dass die Zeitungen und Nachrichtensendungen seit Tagen voll sind über die Beziehungen Wulffs zu
David Groenewold. Vor diesem Hintergrund hat der Berlinale-Empfang im Bellevue etwas Absurdes.
Um kurz nach 19 Uhr kommt der Bundespräsident in den Großen
Saal und stellt sich ans Rednerpult. Christian Wulff hält eine kurze
Ansprache, in der er über die Bedeutung der Filmbranche für
Deutschland spricht. Es ist erstaunlich, wie souverän und scheinbar
gelassen er auftritt angesichts des enormen Drucks, der auf ihm lastet.
Mit keinem Wort geht er auf seine persönliche Situation ein oder auf
die Vorwürfe, die gegen ihn erhoben werden. Fragen von Journalisten
im Anschluss an die Ansprache sind ohnehin nicht vorgesehen. Danach zeichnet Wulff in routinierter Lockerheit noch Nachwuchstalente der Filmbranche aus. Es scheint fast so, als gäbe es die Welt da
draußen nicht, auch Wulff scheint sie ausgeblendet zu haben. Schließlich bittet er die Gäste zu einem Umtrunk in die angrenzenden beiden Salons. Kameraleute und Fotografen sind dort nicht mehr erwünscht.
Dafür wimmelt es von Mitarbeitern des Bundespräsidialamtes, als
hätte man sie als Statisten verpflichtet. „Es war ein furchtbarer Abend",
erinnert sich einer von ihnen später. Nicht nur der Präsident, auch die
Mitarbeiter des Präsidialamts haben neun Wochen Krise in den Knochen, Wulffs engste Mitarbeiter sind physisch und psychisch am
Ende. „Der Schnee draußen, alles war irgendwie so leise", das alles
habe in so krassem Widerspruch gestanden zu dieser dröhnenden
Krise. Vor allem ist da der Wunsch, es möge alles nur endlich ein
Ende nehmen.
Unter anderen Umständen hätten es die Mitarbeiter des Präsidialamtes genossen, am Berlinale-Empfang des Bellevue teilnehmen
zu dürfen. So oft haben sie nicht Gelegenheit dazu. Doch nicht an
diesem Abend. Die Gäste werden von Servicekräften in schwarzen
Anzügen und mit weißen Handschuhen mit immer neuen Häppchen
fast schon drangsaliert. Ganz offensichtlich ist für deutlich mehr
Besucher Essen bestellt worden, als gekommen sind. Ein junger Filmemacher aus New York findet es ganz unterhaltsam, bei dem Empfang im Schloss dabei zu sein. Vom deutschen Bundespräsidenten
hat er vorher allerdings noch nie etwas gehört und von Wulffs Problemen weiß er gar nichts. Der bei Empfängen dieser Art übliche
Small Talk kommt nur schleppend in Gang. Man blickt sich vielsagend an. „Was soll ich Ihnen sagen", ist die Standardantwort der
Präsidialamtsmitarbeiter auf die Frage nach ihrem Befinden, verbunden mit einem betretenen Blick, der dann zu Boden wandert. Christian Wulff hingegen wahrt nicht nur die Fassung, im Gegenteil: Er
scheint den Abend regelrecht zu genießen. Die Freude ist ihm anzusehen, als wider Erwarten zu vorgerückter Stunde der Regisseur Werner Herzog eintrifft. Auch die Berlinale-Jury schaut kurz vorbei. Die
Atmosphäre in ihrer inszenierten Normalität ist regelrecht gespenstisch. Und da es schon um die Filmwelt geht, fühlt man sich fast
zwangsläufig an den Untergang der Titanic erinnert. Das Schiff säuft
unaufhaltsam ab, doch die Musik spielt weiter, als wäre nichts geschehen.
Am nächsten Tag werden Christian und Bettina Wulff zu einem
Staatsbesuch nach Italien aufbrechen. Nach Wochen sparsamer öffentlicher Auftritte geht es wieder einmal auf Reisen, auch das soll
Normalität demonstrieren, der Öffentlichkeit zeigen, dass der Bundespräsident seinen Verpflichtungen nachkommt. Unmittelbar vor dem
Empfang gibt der Bundespräsident in seinem Amtszimmer noch einen
O-Ton für einen Bericht im Radio über die bevorstehende
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