Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
schlagartig anders aus - Wulff zögert nicht
länger. Am späten Abend wird eine erste Version der Rücktrittserklärung verfasst, die jedoch mehrfach verändert wird. Dabei spielt die
Diskussion um die Frage, ob Wulff bei einem Rücktritt überhaupt
Anspruch auf den Ehrensold hätte, eine wesentliche Rolle. Die Erklärung muss so formuliert sein, dass dieser Zweifel wasserdicht ausgeräumt wird. Einige Bundestagsabgeordnete hatten den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages beauftragt, die Frage zu untersuchen,
mit dem Ergebnis, dass Anspruch auf den Ehrensold nur dann bestehe, wenn der Rücktritt aus politischen oder gesundheitlichen Gründen
erfolge. Die Entscheidung darüber liegt beim Bundespräsidialamt.
Nach mehreren Entwürfen steht die Rücktrittserklärung am folgenden
Morgen. Eine Pressemitteilung wird herausgegeben, in der es heißt,
dass Bundespräsident Christian Wulff„um 11 Uhr in Schloss Bellevue
eine Erklärung abgeben" werde. Als diese Mitteilung die Redaktionen
erreicht, gibt es schon keinen Zweifel mehr, dass Wulff seinen Rücktritt erklären wird.
Am Vormittag wird bekannt, dass die Bundeskanzlerin ihre für
diesen Tag geplante Reise nach Rom abgesagt hat. Das Kanzleramt
kündigt eine Erklärung der Kanzlerin für 11:30 Uhr an, die so verstanden wird, dass Merkel sich im Anschluss an die Rücktrittserklärung des Bundespräsidenten dazu äußern werde. Das politische Berlin setzt darauf, dass Wulff von sich aus die richtigen Schlüsse zieht. Die Parteiführungen von SPD und Grünen bleiben bei ihrer Linie,
dass sie nicht offen den Rücktritt des Bundespräsidenten fordern. In
ihren Augen sei „eine staatsanwaltliche Ermittlung mit dem Amt des
Bundespräsidenten unvereinbar", sagt SPD-Generalsekretärin Andrea
Nahles. Für die Grünen erklärt Parteichefin Claudia Roth, das Mindeste sei, das Wulff „sein Amt jetzt umgehend ruhen" lasse. Bei der
Linken heißt es, Wulff sei „nicht mehr tragbar". Bei Union und FDP
spricht man davon, dass Wulff nun „seine Schlüsse ziehen" müsse. Die
hat der Bundespräsident längst gezogen: Am frühen Vormittag kommen Christian und Bettina Wulff ins Bellevue. Das persönliche Büro
des Bundespräsidenten und weitere enge Mitarbeiter werden zusammengerufen, gemeinsam geht man noch einmal die Rücktrittserklärung durch. Danach werden die Abläufe für den Tag besprochen.
Der Andrang im Großen Saal ist enorm. Dicht gedrängt stehen Reporter, Fotografen und Kameraleute, die Erklärung wird live im Fernsehen übertragen. Als sich um 11:03 Uhr die Flügeltüren öffnen und
Christian und Bettina Wulff gemeinsam den Großen Saal betreten, setzt
ein Blitzlichtgewitter ein. Anders als Horst und Eva Luise Köhler halten
sich die Wulffs nicht an der Hand. Bettina Wulff geht neben ihrem
Mann und stellt sich etwas abseits des Pults, zu dem Christian Wulff
geht, um seine Rücktrittserklärung zu verlesen. In ihrem Buch „Jenseits
des Protokolls" beschreibt sie den Moment ein halbes Jahr später: „Ganz
bewusst aber stellte ich mich ein Stück weit entfernt von Christian, um
so zu zeigen: Ich bin eine eigenständige, selbstständige Frau." Die Erklärung, die Christian Wulff verliest, dauert vier Minuten. Es sei ihm
„ein Herzensanliegen" gewesen, betont Wulff zu Beginn, „den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu stärken. Alle sollen sich zugehörig fühlen, die hier bei uns in Deutschland leben, eine Ausbildung machen,
studieren und arbeiten - ganz gleich, welche Wurzeln sie haben."
Deutschland werde dann seine wirtschaftliche und gesellschaftliche
Kraft am besten entfalten und einen guten Beitrag zur europäischen
Einigung leisten, „wenn die Integration auch nach innen gelingt".
Deutschland brauche, fährt Wulff fort, einen Präsidenten, „der sich
uneingeschränkt diesen und anderen nationalen sowie den gewaltigen internationalen Herausforderungen widmen kann". Dafür brauche der
Präsident nicht nur das Vertrauen der Mehrheit, sondern einer breiten
Mehrheit der Bevölkerung. Wulff kommt damit zur Begründung für
seinen Rücktritt: „Die Entwicklung der vergangenen Tage und Wochen hat gezeigt, dass dieses Vertrauen und damit meine Wirkungsmöglichkeiten nachhaltig beeinträchtigt sind. Aus diesem Grund wird
es mir nicht mehr möglich, das Amt des Bundespräsidenten nach innen und nach außen so wahrzunehmen, wie es notwendig ist. Ich
trete deshalb heute vom Amt des Bundespräsidenten zurück, um den
Weg zügig
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