Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
für die Nachfolge frei zu machen." Wulff geht kurz auf das
bevorstehende Ermittlungsverfahren und die rechtliche Klärung ein,
von der er überzeugt sei, „dass sie zu einer vollständigen Entlastung
führen wird". Er habe sich in seinen Ämtern rechtlich stets korrekt
verhalten. „Ich habe Fehler gemacht, aber ich war immer aufrichtig."
Die Medien kritisiert er für ihre Berichterstattung, die ihn und
seine Frau verletzt habe. Seine Frau habe er als „eine überzeugende
Repräsentantin eines menschlichen und eines modernen Deutschlands
wahrgenommen". Mit einem verstohlenen Blick in Richtung Kameras,
der fast ängstlich wirkt, verlässt Christian Wulff in Begleitung seiner
Frau schnellen Schrittes den Saal. Im Anschluss an die Erklärung
kommen die Wulffs noch einmal mit den engsten Mitarbeitern und
den Abteilungsleitern des Präsidialamts zusammen. Christian und
Bettina Wulff wirken gefasst, im Kreis der engsten Vertrauten fließen
vereinzelt Tränen. Nachdem die Medien den Großen Saal verlassen
haben, verabschiedet sich Wulff dort am Nachmittag noch vom gesamten Personal des Bundespräsidialamts. Am späteren Abend werden
Christian und Bettina Wulff fotografiert, als sie an ihrem Haus in
Großburgwedel ankommen.
Unmittelbar nach der Rücktrittserklärung gibt Angela Merkel ihrerseits eine Erklärung im Kanzleramt ab. Sie habe die Erklärung des Bundespräsidenten mit „größtem Respekt und ganz persönlich auch mit
tiefstem Bedauern zur Kenntnis genommen", sagt Merkel in die Kameras und Mikrofone. „Christian Wulff hat sich in seiner Amtszeit mit
voller Energie für ein modernes und offenes Deutschland eingesetzt. Er hat uns wichtige Impulse gegeben und deutlich gemacht, dass die Stärke dieses Landes in seiner Vielfalt liegt. Diese Anliegen werden mit
seinem Namen verbunden bleiben. Er und seine Frau Bettina haben
dieses Land, die Bundesrepublik Deutschland im In- und Ausland würdig vertreten. Ich danke beiden dafür und ich bin überzeugt, dafür
gebührt ihnen unser aller Dank." Die Kanzlerin sagt damit deutlich
mehr, als sie in diesem Moment müsste, vor allem wenn man diese Erklärung mit der schmallippigen Reaktion auf den Rücktritt Horst Köhlers im April 2010 vergleicht. Es ist der Versuch, dem Gescheiterten und
tief Gefallenen ein klein wenig Anerkennung zuteilwerden zu lassen in
dem Moment, wo von der Präsidentschaft Wulff nichts als ein rauchendes Trümmerfeld übrig geblieben ist. Auch Merkel steht auf diesem
Trümmerfeld, Wulffwar ihr Präsident, sein Scheitern ist auch ihr Scheitern. Wochenlang hat sie gehofft, dass Wulff diese Krise übersteht, nun
hat sie innerhalb von zwei Jahren „ihren" zweiten Präsidenten verloren.
Welche Gedanken gehen Angela Merkel an diesem Tag durch den
Kopf? Dass sie sich im Juni 2010 für den Falschen entschieden hat? Die
Kanzlerin hat öffentlich nie darüber gesprochen. Guido Westerwelle
denkt im Sommer 2012 in seinem Büro im Auswärtigen Amt an die
Zeit zurück, als er gemeinsam mit Angela Merkel die Entscheidung
getroffen hat, Christian Wulff zum Bundespräsidenten zu machen. Der
Bundespräsident heißt inzwischen Joachim Gauck und der FDP-Chef
ist auch ein anderer, nicht mehr Westerwelle, sondern Philipp Rösler.
Rösler hat nur zwei Tage nach dem Rücktritt von Christian Wulff
dafür gesorgt, dass Gauck nicht nur der Kandidat von Rot-Grün, sondern auch von Schwarz-Gelb wurde - und sich damit gegen den Willen
von Merkel durchgesetzt. Westerwelle hatte Merkel damals zugestanden, die Präsidentenfrage alleine zu klären, sich für einen Unionskandidaten zu entscheiden. Auf die Frage, wie er die Entscheidung für
Christian Wulff rückblickend betrachtet, denkt er eine Weile nach.
„Für mich persönlich war das in der Rückschau eine Fehlentscheidung",
bekennt Westerwelle schließlich in aller Offenheit. „Mit dem Wissen
von heute wäre es besser gewesen, wenn das allen erspart geblieben
wäre, sowohl ihm als auch seiner Familie und dem Land."
Das Bellevue
as Präsidialamt ist völlig unvorbereitet. Niemand weiß etwas
von dem, was sich im Hintergrund zwischen Christian
Wulff, Olaf Glaeseker, der Bild-Zeitung und dem Stern abspielt, nur diese unmittelbar Beteiligten sind im Bilde. Selbst das Persönliche Büro des Bundespräsidenten im Bellevue, seine engsten Miarbeiter, und auch die Pressestelle des Präsidialamts sind ahnungslos.
Erst am 12. Dezember 2011, als klar ist, dass die Bild-Zeitung am
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