Der Boss
führt wie die Beckenbauer-Imitation zuvor.
Ich bin nicht ganz sicher, ob die Empörung in den Gesichtern von Aylins Eltern mehr von der Nacktheit ausgelöst wird oder von der Tatsache, dass sich meine Mutter an einen Griechen lehnt. Aber am Ende ist das auch egal. Meine Eltern schauen sich an. Die Denizo ğ lus schauen sich an. Eine viel zu lange Pause entsteht. Wenn ich jetzt die Wahl hätte, vom Blitz erschlagen zu werden oder einem Erklärungsversuch meiner Mutter beizuwohnen – ich würde mich für den Blitz entscheiden. Leider meint es das Schicksal nicht gut mit mir. Meine Mutter hat bereits losgelegt:
»Das Bild hat ein Freund von uns gemalt. Er war eigentlich ein Freund von Rigobert, aber dann hatte ich mit ihm eine Affäre. Das war aber nicht so schlimm, haha, denn Rigobert und ich waren ja noch gar nicht verheiratet, und außerdem ist Rigobert danach mit der Freundin des Malers ins Bett gegangen, das war übrigens Ingeborg Trutz, ihr habt sie ja gerade kennengelernt. Aber damals war sie noch nicht mit Dimiter zusammen. Gut, jetzt sindsie auch nicht mehr zusammen, also, in sexueller Hinsicht, aber egal, ich selbst habe jedenfalls mit Dimiter nur ein einziges Mal geschlafen, aber das war betrunken in den Kulissen von Heiner Müllers Hamlet-Maschine. Was ich sagen wollte: Seit wir verheiratet sind, führen wir ein ganz normales Leben, wir haben eigentlich nur noch selten außereheliche Beziehungen, sieht man von Rigoberts russischer Schlampe einmal ab.«
Jetzt meint mein Vater, sich einbringen zu müssen:
»Sie hat das beste Buch über Tolstoi geschrieben, das ich je gelesen habe, und damit die russische Sekundärliteratur einen großen Schritt weitergebracht.«
»Jaja, sie ist ganz toll, deine Anuschka. Auf jeden Fall: Wir sind nicht mehr so wie früher. Wenn ich mal keine Lust auf Rigobert habe, lege ich lieber selbst Hand an, das ist auch emotional viel einfacher als eine Affäre, haha.«
Selbst meine Mutter hat inzwischen bemerkt, dass ihre Offenheit bei den Denizo ğ lus weniger gut ankommt als bei ihren intellektuellen Freunden. Ich spüre, dass mein Leben sich gerade am Scheideweg befindet – und nicht einmal die Doppeldeutigkeit des Wortes »Scheide« im Kontext mit dem Ölgemälde kann mich aufheitern. Sogar Aylin, die deutlich weniger traditionell denkt als ihre Eltern, ringt um Fassung.
Meine Mutter fordert meinen Vater mimisch auf, etwas zu sagen. Mein Vater räuspert sich mehrfach und schaut dann ratlos zu mir, aber ich unterdrücke meine Idee, die Situation mit der Stimme von Udo Lindenberg zu retten. Meine Eltern schauen die Denizo ğ lus ratlos an. Aylins Mutter murmelt arabische Sätze vor sich hin, in denen verdächtig oft das Wort »Allah« vorkommt. Aylins Vater vergleicht meine nackte Mutter mit meiner angezogenen Mutter und kriegt dafür von seiner Frau einen unmerklichen Stoß in die Rippen.
Als letzter Ausweg fällt mir spontan die türkische Wir-ignorieren-einfach-das-Problem-Taktik ein und ich rufe laut:
»Bescherung!!!«
Erleichtert klatscht Frau Denizo ğ lu in die Hände:
»Oh, ich freue mich, ich wollte schon immer dabei sein bei eine traditionelle deutsche Bescherung, hahahaha.«
Jetzt lachen alle gemeinsam. Ich lache auch – erstens, weil mir ein Felsbrocken von der Größe eines Jupiter-Mondes vom Herzen fällt; und zweitens, weil die Denizo ğ lus nach dem heutigen Abend denken werden, dass man in Deutschland traditionell Geschenke mit dem Feuilleton der Zeit einpackt und zur Bescherung Wolf Biermann hört. Meine Eltern und die Denizo ğ lus gehen gut gelaunt zurück in Richtung Wohnzimmer.
Nur Aylin und ich stehen noch vor dem Ölgemälde. Aylin wirkt mitgenommen von den detailreichen Intim-Informationen, die sie gerade von ihren zukünftigen Schwiegereltern erhalten hat. Sie ringt mit sich:
»Daniel … Ich meine, du … also, ich war noch nie mit einem Deutschen zusammen. Ich wusste nicht, dass ihr so … so offen seid.«
»Aylin, du darfst meine Eltern nicht mit den Deutschen verwechseln. Sie sind zwar Deutsche, aber eine Art Mutation. Jeder Franzose ist deutscher als sie.«
»Okay. Und … du?«
»Ich hasse Fremdgehen. Ich bin spießig und stehe auf Treue.«
Aylin seufzt erleichtert.
»Und du willst auch kein Nacktbild von mir neben das Bett hängen?«
»Nein, Nacktbilder natürlich immer nur ins Wohnzimmer.«
Aylin lacht und funkelt mich dann gespielt böse an:
»Sen var ya sen!!!«
Das heißt so was wie »Du bist ja ein ganz
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