Der Boss
optimistisch!«
Endlich ergreift Dimiter Zilnik zum ersten Mal das Wort:
»Optimismus ist nur ein Mangel an Information.«
Eine kurze betroffene Pause entsteht, dann klingelt es. Frau Denizo ğ lu springt auf und öffnet die Tür. Ihre Cousine Valide betritt ein wenig schüchtern das Wohnzimmer. Sie ist Mitte fünfzig, und es scheint, als habe der Künstler, der die Kitsch-Krippe gestaltet hat, in Valides Gesicht ein neues Betätigungsfeld gefunden. Zusätzlich glitzern in ihrem Pullover bunte Pailletten und Perlen, ihre einfarbig pinke Hose wirkt dagegen regelrecht dezent.
Nach einer Wangenkuss-Orgie, bei der viel Glitzer an allen Beteiligten hängen bleibt, platziert Frau Denizo ğ lu ihre Cousine neben Dimiter Zilnik.
»Er ist berühmter Filmregisseur.«
Meine Mutter korrigiert:
»Theaterregisseur.«
»Auf jeden Fall hat keine Frau.«
Jetzt greift Ingeborg Trutz ein:
»Aber verheiratet ist er schon. Mit dem Theater.«
Frau Denizo ğ lu ignoriert das und preist ihre Cousine an wie ein Haushaltsgerät auf Home Order Television:
»Valide kann vallaha sehr gut kochen und ist unheimlich ordentlich und sehr, sehr fleißig. Und hat sogar Führerschein, kann also selber einkaufen fahren.«
Dimiter Zilnik schaut Valide mit glasigem Blick an. Frau Denizo ğ lu klopft ihm auf die Schulter.
»Aber lerne euch erst mal kennen.«
Damit überlässt sie die beiden sich selbst. Nachdem er ein weiteres Glas Château Fenouche auf ex geleert hat, findet Dimiter ein geeignetes Gesprächsthema:
»Haben Sie die letzte Castorf-Inszenierung an der Berliner Volksbühne gesehen?«
Obwohl man durch mehrere Zentimeter Spachtel- und Glitzermasse schwer einen Gesichtsausdruck ausmachen kann, ist doch zu erahnen, dass Castorf-Inszenierungen auf Valides Smalltalk-Themenliste relativ weit unten rangieren. Immerhin will sie sich auf ein Gespräch einlassen:
»Was ist Castorf?«
Dimiter Zilnik sackt augenblicklich in sich zusammen und schafft es, innerhalb von weniger als fünf Sekunden nicht nur einzuschlafen, sondern auch laut zu schnarchen. Ingeborg Trutz tröstet die enttäuschte Valide:
»Seien Sie froh. Dimiter grunzt beim Sex wie eine englische Bulldogge – nicht auszuhalten.«
In die folgende Gesprächspause dringt die Stimme von Frau Denizo ğ lu, die gerade mit Oma Berta spricht:
»Wirklich? Wusste ich ja gar nicht, dass Jesus kam aus Österreich.«
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8
Noch 4 Wochen, 4 Tage, 16 Stunden, 44 Minuten
zur Hochzeit.
»Hi, I’m Jamil, wanna see Phantom of di Opera tonight? Only 100 Quid, man.«
Aylin steht in ihrem atemberaubenden roten Silvesterkleid aus Samt in der Shaftsbury Avenue und schaut zwischen mir und einem afrikanischen Schwarzmarkthändler hin und her. Dabei spiegelt sich die Leuchtreklame des Lyric Theatre in ihren Augen.
»100 Pfund pro Karte – das ist echt zu teuer, Daniel.«
»Aber ich will, dass unser erstes gemeinsames Silvester perfekt wird: Candlelight-Dinner, Phantom der Oper , und dann das Feuerwerk auf der Themse. Verstehst du? Es muss einzigartig werden – ein Abend, von dem wir noch unseren Enkelkindern erzählen.«
»Du bist verrückt.«
Aylin schaut mich verliebt an. Jamil schaut mich genervt an.
»So you wanna buy ticket or no buy ticket?«
Ich freue mich, dass Jamil schlechter Englisch spricht als ich – das gleicht irgendwie meine fehlende Muskelmasse aus. Plötzlich kommen mir Zweifel an seiner Seriosität:
»Und was, wenn die Tickets gar nicht echt sind? Ich meine, warum verkauft er Karten für Phantom der Oper vor einem Theater, in dem Cabaret läuft?«
» Cabaret sold out. Is New Year’s Eve. Only Phantom of di Opera . 100 Quid. Is special price.«
Dass der Preis speziell ist, habe ich auch schon gemerkt. Aber um Aylin glücklich zu machen, ist mir nichts zu teuer. Ich will nur nicht verarscht werden – und Jamils prall gefülltes Lederportemonnaie, das vorne in seinem Gürtel steckt und aus dem mindestens zehn Hundert-Pfund-Noten hervorquellen, lässt ihn nicht unbedingt seriös erscheinen.
»Was meinst du, Aylin? Verarscht er uns?«
»Kann sein. Das wäre dann Schicksal. Wenn der Beduine Pech hat, fickt ihn in der Wüste ein Polarbär.«
»Was???«
»Wenn der Beduine Pech hat, fickt ihn in der Wüste ein Polarbär. Kennst du das nicht?«
»Nein.«
»Ist eine türkische Redensart.«
»Wow! Deine Kultur fasziniert mich immer wieder.«
Statt orientalischer Bildsprache bevorzugt Jamil eine eher nüchterne Kommunikation:
»Buy or no buy?«
Vor zwei
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