Der Boss
Wochen ›Malediven oder Seychellen‹, und jetzt ›Buy or no buy‹. Ich schaue Aylin prüfend an und versuche herauszufinden, ob sie mich immer noch für den Boss hält. Wenn ja, sollte ich jetzt eine Entscheidung treffen. Ich sollte mit großer Geste zweihundert Pfund hervorholen und Aylin generös zunicken. Das wäre souverän und männlich. Ich höre mich sagen:
»Was meinst du denn, Aylin?«
Es ist einfach ein Reflex.
»Tja, ich find’s zu teuer. Aber entscheide du. Du bist der Boss.«
Also doch. Ich dachte, mit meiner Boss-Rolle hätte es sich spätestens auf dem Hinflug nach London-Stansted erledigt, als ich mich drei geschlagene Minuten lang nicht entscheiden konnte, ob ich mein Happy Snack Menü mit Puten- oder Käsesandwich wollte.
Jetzt überlege ich fieberhaft, ob Aylin
a) Phantom der Oper eigentlich unbedingt sehen will und nur abwiegelt, damit ich nicht so viel Geld ausgebe, oder
b) alles hasst, was Andrew Lloyd Webber jemals komponiert hat, und das Geld nur als Vorwand benutzt, um sich ein Martyrium zu ersparen.
Eigentlich der perfekte Plan: Ich finde Aylins Wünsche heraus, und dann entscheide ich , dass wir das tun, was sie will. Vielleichtlautet so das Rezept für eine glückliche Ehe. Leider kann ich unter Druck schwer denken und habe keinen blassen Schimmer, was in Aylin vorgeht. Jamil wird langsam unruhig:
»Hey man, I no got time da whole evening.«
»Okay, I buy.«
Zwischen »I no got time« und »Okay, I buy« lagen höchstens ein paar Hundertstelsekunden. Es war dieser drohende Blick. Mein Vater würde jetzt sagen, dass meine Angst vor diesem Rasta-Mann eine passive Form von Rassismus ist. Ich persönlich finde eher, der Ticketpreis ist eine passive Form von Straßenraub – aber darüber ließe sich streiten.
Aylin fällt mir vor Freude um den Hals.
»Danke! Du bist mein Traumprinz.«
Yes!!! Ich habe mich zwar unter Druck und aus Angst entschieden, aber wie unser Exkanzler so schön sagte: »Wichtig ist, was hinten rauskommt.«
Ich zücke vier Fünfzig-Pfund-Scheine und will sie unserem ungeduldigen neuen Freund überreichen, doch Aylin hindert mich daran und baut sich mit untrüglichem Instinkt für die Wirkung des eigenen Körpers vor Jamil auf:
»100 for both!«
Sie hat recht – es heißt ja Schwarzmarkt handel und nicht Schwarzmarktfestpreis.
»Hey, you beautiful Lady. But price is 100 each.«
Jetzt setzt Aylin ihre zweitschrecklichste Waffe ein: ihr Lächeln. Jamil hat einen Wirkungstreffer abbekommen:
»Okay. 180 for both.«
Nun setzt Aylin ihre schrecklichste Waffe ein: ihren Schmollmund.
»Hey you wanna kill me? Okay, 150 for both.«
Lächeln.
»140. Last offer.«
Schmollmund.
»130. Very last offer.«
Schmollmund in Kombination mit hochgezogenen Augenbrauen.
»120. Dat’s di end, Lady.«
Kurze Abfolge von Schmollmund, Lächeln und wieder Schmollmund.
»Okay, you bitch. 100.«
Aylin ist einfach unschlagbar. Sie zwinkert mir zu, nimmt zwei Fünfziger aus meiner Hand und zahlt. Unser Musical-Experte hält die Karten zurück und gibt sie Aylin erst, als sie erneut ihren Schmollmund präsentiert. Dabei lässt er eine Lache vernehmen, mit der er Eddie-Murphy-Filme synchronisieren könnte. Während das passiert, stehe ich, also der Boss, als interessierter Beobachter daneben und überlege, ob ich etwas dazu sagen sollte, dass ein schwarzer Schwarzmarkthändler meine Verlobte gerade auf Englisch als Hure bezeichnet hat.
Allerdings fordert meine Erziehung, dass ich jetzt erst mal nachprüfe, ob das Wort »bitch« nicht eventuell eine umgangssprachliche Bedeutungsverschiebung hin zum Liebevoll-Kumpelhaften erfährt, wenn es in diesem Kontext verwendet wird. (Als Kind eines Germanistikprofessors mit Nazi-Komplex trägt man schwere seelische Schäden davon.)
Ich verzichte also darauf, mit Jamil über das Wort »bitch« zu diskutieren; Aylin und ich wenden uns zum Gehen. Dabei merke ich, dass Jamil ihr so intensiv auf den Hintern starrt, als gäbe es dort die neue Staffel Dr. House zu sehen. Ich ignoriere auch das und winke ihm zum Abschied zu. Was Jamil offenbar als Einladung missversteht:
»Hey Folks, where you go? I know good place.«
Ich weise ihn mit unerbittlicher Härte ab.
»That’s very kind of you – but no, thank you so much.«
Jamil lässt wieder seine Eddie-Murphy-Lache hören.
»Hey, you’re a funny man. And your girl is gorgeous. Why don’t we spend da night together. We could do a sandwich, hahaha …«
So. Jetzt brauche ich
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