Der Boss
sagen?«
»Tja, so etwas in der Art: ›Mir geht es verhältnismäßig gut. Also in Anbetracht der globalen Probleme.‹«
»Das ist natürlich schwierig, wenn man gerade sein erstes Wort lernt.«
»Natürlich. Mir ist die Problematik schon bewusst …«
Lipgloss-und-rosa-Pumps-Viviane schaut meinen Vater an, als wolle sie ihn umbringen. Auch die anderen Kursteilnehmer haben sich den Einstieg in die türkische Sprache mit Sicherheit anders vorgestellt.
In diesem Moment erreicht mich per SMS von Aylin das Foto eines Porzellan-Brautpaares: Der stolze Bräutigam trägt seine Braut sicher in seinen starken Armen, während die Braut ihre Stirn an seinen Hals schmiegt. Als Text hat Aylin nur zwanzig Fragezeichen angefügt. Offenbar soll dieses Kunstwerk den achten Stock unserer Hochzeitstorte verschönern. Da es stilistisch perfekt zu unserer Einladungskarte passt, schicke ich ein »Ja« mit fünf Ausrufezeichen zurück.
Derweil zeigt unser 35-jähriger Lehrer Yilmaz offenbar Respekt vor der professoralen Ausstrahlung meines Vaters und will ihn weder zu einem ›Mir geht es gut‹ noch zu einem ›So lala‹ nötigen:
»Vielleicht stellen wir uns erst einmal vor und reden später über unsere Befindlichkeiten.«
»Gut. Wie Sie meinen.«
»Also, wenn Sie sich vorstellen wollen, sagen Sie: Merhaba, benim adim Rigobert.«
»Und das heißt?«
»Hallo. Mein Name ist Rigobert.«
»Hmmmm …«
»Also: Merhaba …«
Herr Yilmaz fordert meinen Vater mimisch auf, ihm nachzusprechen. Mein Vater windet sich. Nach einer Weile räuspert er sich mehrfach. Ich ahne Schlimmes.
»Also … ›Mein Name ist Rigobert‹ – das gefällt mir nicht. Das würde ich nicht sagen. Erinnern Sie sich, wie Mephisto sich Doktor Faust vorstellt: ›Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war. Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar.‹ Das ist ein guter Gesprächsbeginn. Denken Sie, Faust wäre ein Klassiker geworden, wenn Goethe geschrieben hätte: ›Guten Tag, mein Name ist Mephisto?‹«
»Goethe konnte zu dem Zeitpunkt aber auch mehr als zwei Worte.«
Mein Vater feilt ein paar Sekunden an einer passenden Erwiderung, dann gesteht er seine Niederlage mannhaft ein:
»Touché. Natürlich. Mein Fehler.«
»Also sprechen Sie mir einfach nach: Merhaba …«
»Wissen Sie, ich möchte von meinem türkischen Gesprächspartner lediglich nicht als plump wahrgenommen werden.«
»Glauben Sie mir, wir Türken freuen uns schon, wenn ein Deutscher überhaupt ein paar Worte Türkisch kann.«
»Natürlich … Aber wie kann man sich über einen Satz freuen wie ›Mein Name ist Rigobert‹? Sprache ist dazu da, damit man seine Persönlichkeit ausdrücken kann. ›Mein Name ist Rigobert‹ ist eine billige Floskel, die können Sie von mir aus Ihren Schülern beibringen.«
»Sie sind mein Schüler.«
Völlige Leere tritt in das Gesicht meines Vaters. Die banale Richtigkeit dieser Aussage ist für eine Sekunde auf seiner Großhirnrinde angekommen – nur um jetzt von Neuem verdrängt zu werden:
»Darum geht es hier ja gar nicht. Es geht darum, dass …«
»O Mann, es reicht, Opa! Ich will hier Türkisch lernen – wenn ich dummes Gelaber brauche, guck ich Barbara Salesch.«
Lipgloss-Viviane hat endlich ihrem Ärger Luft gemacht und erntet dafür Applaus von der gesamten Klasse. Mein Vater ist empört:
»Bitte. Aber wenn Sie dann von Ihrem türkischen Freund als plump wahrgenommen werden, ist das Kind in den Brunnen gefallen.«
Mein Vater verschränkt nun die Arme und schmollt. Dafür darf Viviane unter Beweis stellen, dass die türkische Sprache durch einen kölschen Akzent interessante Nuancierungen erfährt.
Nach einer Stunde voller Begrüßungsfloskeln, zu denen sich schließlich auch mein Vater widerwillig bereit erklärt hat, verlassen die Schüler den Raum. Bis auf mich, meinen Vater und Lipgloss-Viviane, die Herrn Yilmaz als Erste anspricht:
»Herr Yilmaz, darf ich Celal zu dir sagen?«
»Okay.«
»Celal?«
»Ja?!«
»Gehen wir ’nen Kaffee trinken?«
»Nein.«
»Nein???«
»Nein. Du hast einen türkischen Freund. Und ich bin nicht lebensmüde.«
»Ehrlich gesagt hab ich irgendwie voll gelogen. Ich hab gar keinen türkischen Freund. Aber die Melody, die war bei dir im letzten Kurs …«
»Ja?!«
»Und die hat irgendwie gesagt, dass du voll süß bist, und die hat voll recht, irgendwie. Und als wir gerade sagen sollten, warum wir Türkisch lernen, da war mir das voll peinlich irgendwie, weil, ich
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