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Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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hinreißen:
    »… und weil so viele türkische Hochzeitsgäste da sein werden, werde ich meine Rede nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Türkisch halten!«
    Nach ein paar Sekunden Überraschung branden tosender Applaus und Jubel von Familie Denizo ğ lu auf, und ich grinse in mich hinein. Rigobert Hagenberger im Türkischkurs – das könnte vom Unterhaltungswert sogar den Besuch im Restaurant »Le Moissonnier« toppen, als mein Vater beim Versuch, auf Französisch zu bestellen, eine unverständliche Mischung aus Latein und Portugiesisch von sich gab und schließlich dem Kellner vorwarf, sein bretonischer Akzent mache die Kommunikation unmöglich.

[Menü]
13
    Noch 2 Wochen, 4 Tage, 15 Stunden, 37 Minuten
bis zur ersten türkischen Rede meines Vaters.
    Ich sitze neben meinem Vater in einem Klassenraum mit Neonbeleuchtung und fühle mich spontan wie 15, als unser Lehrer seinen Namen »Celal Yilmaz« an die Tafel schreibt. Heute startet der Kurs »Türkisch I « an der Volkshochschule, für den mein Vater sich selbst und mich angemeldet hat. Ich hätte sehr gerne ohne meinen Vater Türkisch gelernt, aber die Begründung »du nervst« ist auch bei einer ausgeprägten Begabung für euphemistische Formulierungen diplomatisch schwer rüberzubringen. Immerhin bin ich dankbar für ein wenig Abwechslung, denn Aylin hat im Moment kaum Zeit für mich – seit wir aus London zurück sind, verbringt sie täglich gut sechs bis acht Stunden mit Hochzeitsvorbereitungen, an denen ich mich nicht beteiligen darf, weil es Überraschungen sein sollen. In diesem Moment bekomme ich eine SMS von Aylin:
    »Hochzeitstorte sechs oder acht Stöcke?«
    Da ich weiterhin der Boss bin, darf ich immerhin entscheiden, ob ich mich von einer sechs- oder achtstöckigen Torte überraschen lassen darf. Ich will Aylin eine »8« zurücksimsen, drücke aber einmal zu oft auf die Taste, sodass Aylin jetzt ein »Ü« bekommt und ich noch ein »Sorry, versimst, meinte 8« hinterherschicke. Gut, dass mein Vater das Wort »versimst« nicht mitbekommen hat. Einmal hat er mir einen fünfminütigen Vortrag darüber gehalten, wie schrecklich er meinen Satz »Ich habe mir den Wolf gegoogelt« fand.
    Herr Yilmaz startet jetzt den Unterricht mit einer Vorstell-runde. Unter den 13 Kursteilnehmern gibt es sieben Frauen zwischen 16 und 25 mit türkischen Freunden, einen 28-jährigen Mann mit türkischer Freundin sowie zwei deutsche Lehrer, die endlich ihre Schüler verstehen wollen, und einen Polizisten, der genervt ist, weil er sich nicht mit den Verdächtigen unterhalten kann. Dazu ich und mein Vater, der als einziger Kursteilnehmer eine Hochzeitsrede auf Türkisch halten will.
    Eine der Frauen mit türkischem Freund kenne ich: Es ist Viviane, eine Blondine mit Lipgloss, Zungenpiercing und rosa-silbernem Bustier. Sie hat mal im Flugzeug neben mir gesessen und mit mir geflirtet. Ich war scharf auf sie – aber heute wirkt sie mit der Kombination aus rosa Pumps und silbernen Glanzleggings eher wie die Silvester-Dekoration einer Beate-Uhse-Filiale. Und ich habe mich offenbar weiterentwickelt, denn obwohl sie mir zuzwinkert, spüre ich eher Mitleid als Erregung: Wenn eine Frau im Januar bei minus sechs Grad in rosa Pumps durch die Gegend spaziert und dann auch noch auf Socken verzichtet, um die rosafarbenen Fußnägel mit den aufgeklebten Mini-Brillanten nicht zu verdecken, dann kann es um die geistige Gesundheit nicht allzu gut bestellt sein. Obwohl Viviane alles tut, um die Aufmerksamkeit des attraktiven Lehrers zu erregen, wird sie von diesem schlicht ignoriert.
    Stattdessen greift er sich spontan meinen Vater als »Alterspräsidenten« der Gruppe heraus und hält ihm die Hand hin:
    »Merhaba. Nasilsin?«
    Mein Vater ergreift die Hand und versucht zu glänzen:
    »Äh, mer … äh … merha … bobababa. Äh … wie war das?«
    »Merhaba. Nasilsin? Das heißt ›Guten Tag. Wie geht’s?‹«
    »Ah ja. Merha … äh … bebaba, nein, das war ein ba zu viel. Mer … äh …«
    »Merhaba.«
    »Merhaba.«
    »Gut. Merhaba. Nasilsin?«
    »Merhaba. Nasil … äh …«
    »… sin?«
    »… sin?«
    »Sehr gut. Und darauf antworten wir: ›iyiyim‹.«
    »Und das heißt …?«
    »Mir geht es gut.«
    »Ah ja. Aber ich würde lieber eine gewisse Ambivalenz zum Ausdruck bringen.«
    »Dann können Sie › Ş öyle böyle‹ sagen. Das heißt ›so lala‹.«
    »So lala?!«
    »Ja.«
    »Nein, das würde ich eigentlich auch nicht sagen wollen.«
    »Was wollen Sie denn

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