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Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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sicherlich noch größer, wenn ich nicht so angespannt wäre. Einerseits heirate ich morgen zum ersten Mal in meinem Leben und habe angemessenes Lampenfieber, andererseits bin ich mir nicht sicher, ob das gut geht mit mir und Onkel Abdullah. Als ich gestern mit derletzten Fuhre silberner Tisch-Vasen im Hochzeitssalon eintraf, hat mich Aylin auf die Begegnung vorbereitet:
    »Mach dir keine Sorgen, Daniel – Abdullah Amca ist wirklich sehr nett.«
    »Amca? Ich dachte, sein Nachname ist auch Denizo ğ lu?!«
    »Ist er auch. Amca heißt Onkel.«
    »Ich dachte, Onkel heißt dayı .«
    »Dayı ist der Onkel mütterlicherseits.«
    »Und warum sagst du zu Onkel Serkan immer Eni ş te ? «
    »Weil er angeheiratet ist.«
    »Verstehe. Onkel Abdullah ist also nett.«
    »Genau. Er ist nur …«
    Aylin stockte und lächelte mich mit ihrem zauberhaften Bitte-übe-Nachsicht-mit-meiner-Familie-Blick an.
    »Er ist nur … also, was Religion betrifft …«
    »Ja?«
    »Na ja, er ist nicht ganz so tolerant wie die meisten anderen in der Familie.«
    »Was soll das heißen? Ist er ein Fundamentalist?«
    »Nein, das wäre übertrieben. Obwohl … Egal, er wird dich auf jeden Fall mögen. Das weiß ich.«
    »Weil ich so einen guten Charakter habe?«
    »Nein. Weil ich gesagt habe, du bist Moslem.«
    »Was???«
    »Das ist kein Problem. Echt nicht.«
    »Aber … du willst, dass ich ihn anlüge.«
    »Nein. Du sollst nur akzeptieren, dass ich ihn anlüge.«
    »Aber …«
    »Sag einfach nicht, dass du kein Moslem bist.«
    »Schon klar. Und wenn wir gemeinsam aufs Klo gehen, nehme ich nicht das Urinal direkt neben ihm.«
    »Siehst du? Du hast verstanden.«
    »Trotzdem. Unser Verhältnis basiert dann auf einer Lüge.«
    »Na und? Dafür mag er dich.«
    »Aber nur, weil er die Wahrheit nicht kennt.«
    »Die Wahrheit wird überschätzt. Hauptsache, man versteht sich.«
    »Aber ich mag die Wahrheit. Neben Sitcoms und dem Regelwerk des Deutschen Fußball-Bundes ist sie eine der wichtigsten Errungenschaften unserer Zivilisation.«
    »Genau. Redet über Fußball. Abdullah Amca liebt Trabzonspor – sogar mehr als Baba.«
    » Noch mehr?«
    »Einmal hat er nach einem nicht gegebenen Elfmeter gegen Fenerbah ç e den Fernseher eingetreten und ist dabei mit dem Fuß im Bildschirm stecken geblieben.«
    »Und wenn er herausfindet, dass ich kein Moslem bin? Schlägt er mich dann bewusstlos und führt einen Exorzismus durch?«
    »Ihr werdet euch verstehen, glaub mir.«
    »Dein Wort in Gottes Ohr.«
    »Ach ja, Gott solltest du vielleicht besser nicht erwähnen.«
    Daraufhin küsste mich Aylin und beklebte die Wände weiter mit den 1000 Plastikrosen, die ich drei Tage zuvor aus dem Keller eines türkischen Restaurants in Duisburg abgeholt hatte.
    An der Anzeigetafel leuchtet hinter Flug Nr. 2451 aus Istanbul »30   Minuten Verspätung« (Abdullah kommt aus Trabzon, muss aber in Istanbul umsteigen), deshalb kann ich mich meinem Handy zuwenden, das mir gerade netterweise meldet, mein Mitteilungs-Speicher sei voll. Aylin hat mir allein in den vergangenen drei Tagen über 200 SMS geschickt. Hier die von heute Vormittag:
    8 Uhr 44: Kleid ist fertig – jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!!!
    8 Uhr 46: Kleid passt nicht – neeeeeeeeeiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiinnnnnnnnnnnnn!!!!
    9 Uhr 03: Liebst du mich auch, wenn das Kleid nicht 100   % perfekt ist?
    9 Uhr 11: Problem wegen Sitzordnung: Tante Emine hat sich mit Tante Ay ş e verkracht. Wenn Emine am Familientisch sitzt, ist Ay ş e beleidigt und umgekehrt.
    9 Uhr 25: Kurze Frage zum Büfett: Soll auch was ohne Knoblauch dabei sein?
    9 Uhr 33: Kenan (vom Reisebüro) will Fotos auf Feier sofort ausdrucken und für 8   € verkaufen. OK ?
    9 Uhr 37: Ich bin so unglücklich wg. Kleid.
    9 Uhr 45: Mein Friseur ist krank. Ich krieg die Kriiiiiiiiiiiiiiiseeeeeeeeeeeee!!!
    9 Uhr 46: Sorry, wollte dich nicht belasten. Alles ist super.
    9 Uhr 58: Kaufe gerade Unterwäsche für die Hochzeitsnacht – wird dir gefallen!!!!!!!!!!
    10 Uhr 07: Lösung Tischproblem: zwei Familientische, und wir sitzen nur mit den Eltern.
    10 Uhr 31: Arzt hat Papa Magenmittel verschrieben. Er nimmt trotzdem weiter Aspirin. O Mann!
    10 Uhr 54: Ich HASSE meine Cousine!!! So. Das musste raus.
    11 Uhr 07: Ich liebe dich über alles. Weißt du das eigentlich? Sen benim hayatımsın.
Anmerkung
    11 Uhr 13: Kleid wurde geändert – es passt!!!!

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