Der Boss
was erzählt habe. Außerdem: Was werden meine Eltern sagen, wenn sie erfahren, dass ich mich als muslimischer Kriegsheld ausgebe? Ich glaube, ich bin zu weit gegangen. Aber jetzt kann ich auch nicht mehr so leicht zurückrudern. O nein, was habe ich getan? Ich muss mit einem Lügenprofireden und ziehe Cem zu einem Vier-Augen-Gespräch in den Flur.
»Was ist, Schwager?«
»Cem, ich glaube, ich schaffe das nicht mit dem Lügen.«
»Wieso? Du machst das super. Bald bist du Profi.«
»Ich weiß gar nicht, ob ich Profiwerden will. Ich … Stört dich das eigentlich nicht, die ganze Zeit mit dieser riesengroßen Lüge zu leben?«
»Doch, klar.«
»Aber du willst trotzdem immer so weitermachen.«
»Natürlich nicht. Die ständige Lügerei geht mir langsam auf den Zeiger. Irgendwann will ich heiraten.«
»Das würdest du dich trauen? Ich meine, die türkische Kultur ist in der Frage ja schon ein klitzekleines bisschen … äh …«
Plötzlich kriegt Cem große Augen – er hat eine Idee:
»Weißt du was? Wir geben auf deiner Hochzeit meine Verlobung bekannt!«
Ich kann kaum glauben, was ich höre. Cem will sich vor über 500 Leuten outen und dann auch noch eine Schwulen-Hochzeit ankündigen.
»Wirklich? Wow, das … wäre echt mutig von dir.«
»Ja. Ich habe auch etwas Angst. Aber es ist an der Zeit.«
Ich umarme Cem herzlich:
»Cem – ich bin stolz auf dich. Egal, wie die anderen reagieren – ich halte zu euch.«
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37
16 Stunden, 27 Minuten vor der Hochzeit.
»Dübndüdüüüüüü – eeeey Mark, alter Schlawiner, was macht das Lilalotterleben?!«
»Dübndüdüüüüüü – Daniel, alter Unter-die-Haube-Kriecher …«
Mark und ich tänzeln vor dem Eingang des Cinedoms in Lindenberg-Manier ein paar Sekunden voreinander herum, bis wir uns schließlich so unbeholfen in die Arme nehmen, wie es die männliche Tradition verlangt. Für meinen zweiten und hoffentlich letzten Junggesellenabschied haben wir beschlossen, Ice Age 3 ohne Familie, dafür aber in 3-D zu genießen.
»Mark, das war eine Super-Idee. Ich konnte mich letzte Woche gar nicht auf den Film konzentrieren, weil mein Vater mich die ganze Zeit mit Informationen über die Tundrenzeit zugetextet hat.«
»Tja, lustige, sprechende Urzeittiere sind definitiv ein würdigerer Abschluss des Junggesellendaseins als nackte Frauen … Oder was machen wir nach dem Kino?«
»Ich würde sagen: Wir gehen zu dem Table-Dance-Club am Kaiser-Wilhelm-Ring, trauen uns nicht rein, dann zu dem Strip-Schuppen im Belgischen Viertel, trauen uns auch nicht rein, und am Ende versacken wir in irgendeiner Kneipe.«
»Klingt nach einem perfekten Plan.«
Ein entspannter Abend mit Mark ist genau das, was ich so kurz vor der Hochzeit brauche, denn der heutige Tag war, gelinde gesagt, problematisch. Mein Team hat dank meiner Praktikantin zwar sehr viel Zeit mit erdnussproduzierenden Elefanten, fliegenden weißen Kühen und Motorrad fahrenden Schafen verbracht, aber sehr wenig Zeit mit Bernd Banane. Dann sind zwei Cousins und ein Onkel von Aylin aufgetaucht, die alle der Firma irgendwelche günstigen Angebote machen wollten. Und schließlich hat sich irgendeine Cousine mit irgendeiner Tante gestritten und damit die schöne Sitzordnung, die Aylin mir gestern nach Mitternacht gemailt hat, wieder über den Haufen geworfen. Ich kann langsam nicht mehr. Ich will endlich verheiratet sein. Wenn man die Hochzeit einfach überspringen könnte, wär’s mir auch recht.
Mark und ich stellen uns in die Schlange an der Kasse, direkt hinter einer Gruppe von fünf 18-jährigen Jungs, die allesamt den Schritt ihrer Jeanshosen in Kniehöhe baumeln haben. Dadurch sieht es aus, als hätten sie extrem kurze Beine – und sie erinnern mich an E. T . Als ich gerade mit Erschrecken feststelle, dass ich den Geschmack der Jugend nicht mehr verstehe, vibriert mein Handy. Es ist meine Mutter.
»Hallo, Erika.«
»Daniel, hast du alles vorbereitet für morgen? Vergiss den Ausweis nicht. Du weißt ja, dass du eine halbe Stunde vorher da sein musst. Wo bist du jetzt überhaupt? Habe ich dich zu Hause erwischt, oder bist du schon draußen? Ich höre Stimmen – sitzt du in der Straßenbahn?«
»Nein, ich bin …«
»Moment, für die Straßenbahn fehlen die typischen metallischen Fahrgeräusche. Du hast also den Bus genommen. Oder nein, es klingt eher so, als wärst du in einer Kneipe.«
Die Erfindung des Handys hat aus meiner Mutter eine Art Geräuschdetektivin gemacht. Heute
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