Der Boss
Romeo und Julia .«
Nachdem mir Mark netterweise versichert hat, dass es ihm erstens nichts ausmacht, Ice Age 3 alleine zu gucken, und dass es aus therapeutischer Sicht trotzdem ein Durchbruch war, wie ich mich gegen meine Mutter, meine Schwiegermutter und Aylin behauptet habe, treffe ich 23 Minuten später im Foyer des Kölner Schauspielhauses ein, wo sich meine Eltern gerade in einer lebhaften Diskussion mit den Denizo ğ lus befinden. Meine Mutter ist in voller Fahrt:
»… und mit acht war Daniel in seine Klassenlehrerin verliebt. Sie war eine Lesbe – eine unheimlich intelligente, toughe Frau, und enorm attraktiv. Auf dem Sommerfest ist sie mit der Gitarre aufgetreten und hat gesungen: ›Ich habe abgetrieben‹ – das fand ich unglaublich mutig. Dabei hatte sie gar nicht abgetrieben, das war einfach ein politisches Statement. Ich hatte dann ein kurzes Verhältnis mit ihr, aber keine Sorge, das war damals nur eine ganz kurze Experimentierphase. Was ich sagen wollte: Daniel hat sich immer zu starken Frauen hingezogen gefühlt. Er hat sich nur nie getraut, sie anzusprechen, aber … Ah, wie schön – Daniel!«
Ich bin keine Sekunde zu früh gekommen. Und habe ein ganz mulmiges Gefühl, was den Verlauf des Abends betrifft. Eine Dimiter-Zilnik-Inszenierung ist mit Abstand das schlechteste Programm, das man sich als Vorbereitung auf eine Hochzeit vorstellen könnte. Meine Aufgabe wird darin bestehen, den Schaden zu begrenzen.
Während Aylin mich erfreut in den Arm nimmt, wird meine Mutter von Alice Schwarzer begrüßt, für deren Emma sie gelegentlich Artikel schreibt. Frau Denizo ğ lu ist begeistert:
»Aaaaaaaah, ich habe Sie gesehen bei ›Wer wird Millionär‹ …Sind Sie vallaha unheimlich klug. Habe ich noch nie gesehen eine so kluge Frau, vallaha. Müssen Sie mir unbedingt sagen: Wie ist Günther Jauch? Ich mag ihn unheimlich, vallaha, ist meine Liebling, Günther Jauch. Vielleicht könne Sie mir geben Adresse von seine Fernsehstudio, dann bringe ich für nächste Sendung Börek und Schafskäse vorbei.«
Alice Schwarzer lächelt – aber bevor sie antworten kann, wird sie von einem Journalisten des Kölner Stadt-Anzeigers beiseitegezogen, der von ihr ein kurzes Statement zur Premiere hören will und daraufhin von Frau Schwarzer aufgeklärt wird, dass sie Theaterinszenierungen in der Regel besser beurteilen kann, nachdem sie sie gesehen hat.
Derweil wendet sich Frau Denizo ğ lu an meine Mutter:
»Ist sehr attraktive Frau. Hat sie eine Mann?«
»Nein.«
»Perfekt. Müssen wir sie bekannt machen mit Onkel Abdullah. Seit seine Frau gestorben, er ist sehr einsam.«
Meine Mutter ist irritiert:
»Sie wollen Alice Schwarzer mit Onkel Abdullah verkuppeln?!«
»Ja. Ich habe gesehen bei Günther Jauch, dass sie ist sehr nette Frau, und kann gut umgehen mit Männer. Wird Onkel Abdullah auf jeden Fall mögen.«
»Sie wissen, dass sie Deutschlands führende Feministin ist?«
»Was ist Feministin?«
»Sie setzt sich für die Rechte der Frauen ein.«
»Ach so, ist kein Problem. Kann sie machen, wenn Onkel Abdullah guckt Fußball.«
»Also, ich glaube, das ist keine so gute Idee.«
»Natürlich, sie muss konvertieren zum Islam.«
»Alice Schwarzer???«
In diesem Moment wird die heitere Diskussion leider vom dritten Gong unterbrochen, der uns ins Auditorium ruft. Ich gehe mit Aylin und unseren Eltern zu den Plätzen, die Dimiter Zilnik uns nebeneinander in der ersten Reihe reserviert hat. Als wir uns der Bühne nähern, die aus zwei völlig leeren grauschwarzen Räumen besteht, gerät mein Vater ins Schwärmen:
»Wieder mal ein phantastisches Bühnenbild – abstrakt, aber unheimlich suggestiv.«
Suggestiv gehört zu den Lieblingswörtern meines Vaters, und er benutzt es immer dann, wenn ich leer sagen würde.
Herr Denizo ğ lu setzt sich auf seinen Platz und guckt verwirrt auf die Bühne:
»Wo ist denn Bühnenbild?«
»Dort, die beiden symbolischen grauen Räume.«
»Aber hängt kein Bild da.«
»Ach so. Nein, äh, also, äh … Nun, als Bühnenbild bezeichnet man die optische Gestaltung eines szenischen Raumes.«
»Aber Raum ist nicht gestaltet. Raum ist einfach nur grau.«
»Exakt. Genau das ist ja die Gestaltung. Die Kunst besteht in der Reduktion.«
Herr und Frau Denizo ğ lu schauen sich ratlos an. Nach einer Weile wendet sich Aylins Mutter an meine:
»Das ist unheimlich schade! Warum hat eure Freund nicht Bescheid gesagt? Wir haben für Hochzeitsfeier noch vier Ballen Tüll
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