Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
Vom Netzwerk:
Onkel Serkan. Er denkt, dass ich bei Tante Nihal war.«
    »Perfekt. Jetzt bin ich auf alle Eventualitäten vorbereitet.«
    »Lass mich nachdenken … Ansonsten musst du nur ein paar Kleinigkeiten beachten: Onkel Mustafas Tochter war noch nie inder Disco, die Haarfarbe von Tante Emine ist echt – und dass ich offiziell noch Jungfrau bin, weißt du ja.«
    »Gut. Dann kann ich mich ja ganz ungezwungen unterhalten.«
    Eine gute halbe Stunde später sitze ich mit Aylins Vater, Onkel Mustafa, Cem und Chrístos in meinem Wohnzimmer, während Onkel Abdullah ein gigantisches Tablett mit Çi ğ Köfte auf den Tisch stellt – das sind kleine, stark gewürzte Frikadellen aus rohem Fleisch. Im Gegensatz zu weiblichen orientalischen Gastgebern hält es Onkel Abdullah offenbar nicht für nötig, noch 1000 Schälchen mit Kleinigkeiten dazuzustellen. Rohes Fleisch reicht. Was würde auch besser zu einem Männerabend passen?
    Ich kann beobachten, wie Chrístos beim Anblick von mindestens zehn Kilo totem Tier so übel wird, dass Cem ihn mimisch beruhigen muss. Chrístos ist mit Abstand der weiblichste Grieche, den ich je gesehen habe: Seine Augenbrauen sind gezupft, die Fingernägel manikürt, seine Bewegungen erinnern mich an Mireille Mathieu, um seine Wimpern würden ihn die meisten Frauen beneiden, und seine Gesichtszüge sind so männlich wie ein Himbeertörtchen auf Vanilleschaum. Kurz: Es gehört eine enorme Verdrängungsleistung dazu, ihn als heterosexuell wahrzunehmen. Immerhin lässt ihn sein dunkler Teint südländischer wirken als Cem, der mit seinen roten Haaren und den blauen Augen so türkisch aussieht wie Hansi Hinterseer. Dafür passt seine breitbeinige Sitzposition besser zu einem Männerabend als Chrístos’ übereinandergeschlagene Oberschenkel. Während Cem sich gerade vier Çi ğ Köfte auf einmal in den Mund schiebt, packt Onkel Mustafa dem zögerlichen Chrístos mindestens zehn Frikadellen auf den Teller.
    »Na los, mein Junge! Ist genug da für alle.«
    Chrístos windet sich und schaut Cem Hilfe suchend an. Offensichtlich ist er nicht nur ein schwuler christlicher Grieche, sondern auch noch Vegetarier. Da bin ich mit meiner Moslemlüge ja noch relativ dicht an der Wahrheit. Cem antwortet für seinen Freund:
    »Chrístos hat sich gestern den Magen verdorben.«
    Chrístos lächelt entschuldigend, während Onkel Abdullah einen leicht verächtlichen Brummton vernehmen lässt. Nun tritteine Gesprächspause ein, die darin begründet liegt, dass sich Onkel Abdullah, Cem, Onkel Mustafa und Herr Denizo ğ lu offensichtlich in einem Wettstreit befinden: Wer am schnellsten isst, hat gewonnen. Ich bin beeindruckt. Noch nie in meinem Leben habe ich Menschen in einer derartig gigantischen Geschwindigkeit essen sehen. Und obwohl ich oft Naturdokumentationen gucke, konnte ich auch im Tierreich nichts Vergleichbares beobachten. Als Cem einmal für fünf Sekunden durchschnauft, tupft ihm Chrístos liebevoll die Mundwinkel mit einer Serviette ab. Die beiden sind wirklich ein süßes Paar. Beziehungsweise wirklich süße beste Freunde. Dabei steht Chrístos auch noch sein kleiner Finger ab. Obwohl er sich Mühe gibt, möglichst viele Hinweise auf seine Homosexualität zu liefern, scheint niemand etwas zu bemerken.
    Diese Fähigkeit zur Verdrängung scheinen Türken durch jahrelanges Training zu perfektionieren. Ich glaube, Chrístos könnte hier im rosa Tütü sitzen und »Ich bin schwul« auf die Stirn tätowiert haben – sie könnten immer noch darüber hinwegsehen.
    In weniger als zehn Minuten ist der gigantische Fleischberg komplett vertilgt, obwohl ich höchstens 200 Gramm hatte und Chrístos gar nichts. Das bedeutet, die anderen vier müssen jeder über zwei Kilo Fleisch gegessen haben. Respekt.
    Jetzt bedanken sich meine Verwandten bei Allah dafür, dass sie gerade eins seiner Geschöpfe vertilgen durften, und wenden sich mit zufriedenen Seufzern wieder ihren Teegläsern zu. Onkel Abdullah lächelt mich an:
    »Daniel, warum hast du deine Schwiegervater nix erzählt, dass du bist Kriegsheld?«
    Was hat er gerade gesagt? Kriegsheld? Ich? Was ist das jetzt schon wieder für ein Hirngespinst? Ich bin verunsichert:
    »Wieso Kriegsheld? Was … äh …«
    »Aaaaaah, du musst nicht sein so bescheiden, Daniel. Ich habe gesehen Urkunde und Medaille in deine Flur.«
    Ach so – die Fotomontage von Karl, Ulli und Lysa mit der DDR – Medaille, die mich als »Held der Schlacht von Brüssel« ausweist.
    »Nein, das ist

Weitere Kostenlose Bücher