Der Botschafter
britischen Premierminister Tony Blair und Präsident James Beckwith war schon vor längerer Zeit vereinbart worden; daß es jetzt nur eine Woche nach der Terroroffensive der Ulster Freedom Brigade stattfand, war reiner Zufall. Tatsächlich waren beide Männer sehr bemüht, ihr Gespräch als Routinekonsultation zwischen guten Freunden hinzustellen, was es zum größten Teil auch war. Als der Premierminister aus dem Blair House, dem Gästehaus auf der anderen Straßenseite, ins Weiße Haus herüberkam, versicherte sein Gastgeber ihm, die Villa sei ihm zu Ehren so benannt worden. Der Premierminister ließ sein berühmtes strahlendes Lächeln aufblitzen und versicherte Beckwith, bei seinem nächsten Londonbesuch werde eine britische Sehenswürdigkeit ihm zu Ehren umbenannt.
Präsident und Premierminister setzten sich im Roosevelt Room des Weißen Hauses mit ihren Mitarbeitern und Assistenten zu einer zweistündigen Besprechung zusammen.
Die Tagesordnung war sehr weit gespannt: Koordinierung der Verteidigungs-und Außenpolitik, Finanz-und Handelspolitik, die ethnischen Spannungen auf dem Balkan, der Friedensprozeß im Nahen Osten und natürlich die Nordirlandfrage. Kurz nach Mittag zogen die beiden Politiker sich zu einem privaten Lunch ins Oval Office zurück. Schnee trieb über den South Lawn, als die beiden Männer am Fenster hinter dem Schreibtisch des Präsidenten standen und die Aussicht bewunderten. Im Kamin brannte ein helles Feuer, vor dem ein Tisch gedeckt war. Der Präsident faßte seinen Gast ungezwungen am Arm und rührte ihn durch den Raum. Nach einem in der Politik verbrachten Leben waren James Beckwith die zeremoniellen Aspekte seines Jobs längst vertraut. Das Washingtoner Pressekorps schrieb regelmäßig, nach Ronald Reagan sei er der beste Präsidentendarsteller im Oval Office.
Trotzdem war er allmählich amtsmüde. Er war nur sehr knapp wiedergewählt worden und hatte während des gesamten Wahlkampfs hinter seinem Konkurrenten, dem demokratischen Senator Andrew Sterling aus Nebraska, gelegen, bis dann ein arabischer Terrorist vor Long Island ein Verkehrsflugzeug abgeschossen hatte. Beckwith' geschicktes Krisenmanagement - und seine raschen Vergeltungsschläge gegen die Terroristen - hatten dazu beigetragen, das Blatt zu wenden.
Jetzt hatte er sich im Status eines Präsidenten, der nicht wiedergewählt werden konnte, behaglich eingerichtet. Der von den Demokraten beherrschte Kongreß hatte das wichtigste Projekt seiner zweiten Amtszeit, den Aufbau eines nationalen Raketenabwehrsystems, zu Fall gebracht. Seine nicht allzu wichtigen sonstigen Vorhaben betrafen eine Reihe kleinerer konservativer Initiativen, die er ohne die Unterstützung des Kongresses verwirklichen konnte. Zwei seiner Minister waren wegen schwerer finanzieller Unregelmäßigkeiten unter Beschuß geraten. Beckwith und seine Frau Anne sprachen abends beim Essen immer weniger über Politik und mehr darüber, wie sie ihren Ruhestand in Kalifornien genießen würden. Er hatte sogar zugestimmt, Anne einen langgehegten Wunsch zu erfüllen und mit ihr an den oberitalienischen Seen Urlaub zu machen. Früher hatten seine Strategen ihm abgeraten; ein Aus landsurlaub wäre eine politische Katastrophe. Inzwischen war Beckwith das gleichgültig. Enge Freunde schrieben seine Ziellosigkeit dem Verlust seines Freundes und Stabschefs Paul Vandenberg zu, der sich im Vorjahr auf Roosevelt Island im Potomac River erschossen hatte.
Die beiden Männer setzten sich zum Lunch. Tony Blair, der ein berüchtigt schneller Esser war - was Beckwith aus dem von seinem Stab zusammengestellten Dossier über seinen Gast wußte -, verschlang seine gegrillte Hühnerbrust mit Pilaw, bevor Beckwith seinen Teller zu einem Viertel geleert hatte.
Andererseits war der Präsident nach den intensiven Diskussionen dieses Vormittags hungrig, deshalb ließ er den britischen Premierminister seelenruhig warten, bis er mit seinem Essen fertig war.
Ihr Verhältnis hatte sehr gelitten, seit Blair voriges Jahr Beckwith wegen seiner Luftangriffe auf Ausbildungslager des Schwerts von Gaza - die palästinensische Terrororganisation, die das Verkehrsflugzeug der Trans-Atlantic Airlines vor Long Island abgeschossen haben sollte - öffentlich kritisiert hatte.
Einige Wochen später hatte das Schwert von Gaza sich durch einen Vergeltungsangriff auf den Ticketschalter der Trans-Atlantic auf dem Londoner Flughafen Heathrow gerächt, bei dem mehrere britische und amerikanische Flugreisende
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