Der Botschafter
besetztem Gebiet. Ein weiteres obskures Bauunternehmen umgab das Grundstück mit einem drei Meter hohen Zaun mit Klinkersäulen und massiven Eisenstangen und stellte am Tor ein Holzhäuschen im Zuckerbäckerstil für einen ständigen Wachposten auf. Nach Abschluß dieser Arbeiten machte ein weiteres Team sich daran, das Grundstück mit Kameras und Bewegungsmeldern zu sichern. Die Nachbarn beschwerten sich, die neuen Sicherheitsmaßnahmen des Senators versperrten ihnen die Aussicht auf Dering Harbor und den Sund. Es gab Gerede über eine Petition, aber auch Beschwerden im Gemeinderat und sogar ein paar unfreundliche Leserbriefe im Shelter-Island-Reporter. Aber bis zum Sommer hatten alle sich an den neuen Zaun gewöhnt, und niemand konnte sich mehr daran erinnern, warum die Leute sich einmal darüber aufgeregt hatten.
»Das kann man ihnen kaum verübeln«, sagte Martha Creighton. »Will er einen Scheißzaun haben, soll er seinen Scheißzaun haben. Teufel, ich ließe ihn einen Burggraben anlegen, wenn er einen wollte.«
Über Michael Osbourne war auf der Insel nur wenig bekannt.
Allgemein wurde angenommen, er sei in der Wirtschaft tätig - im internationalen Vertrieb eines Konzerns oder in der nicht recht überschaubaren Welt einer Consultingfirma. Kamen seine Frau Elizabeth und er übers Wochenende auf die Insel, blieb er im allgemeinen sehr zurückhaltend. Frühstückte er in The Heights im Drugstore oder trank im Dory ein Bier, brachte er immer einige Zeitungen mit, um sich dahinter zu verschanzen.
Die weibliche Bevölkerung der Insel fand ihn attraktiv und verzieh ihm seine Zurückhaltung als Anzeichen einer gewissen Schüchternheit. Harry Carp, der für seine freimütige Ausdrucksweise bekannt war, bezeichnete Michael gewohnheitsmäßig als »diesen hochnäsigen Hundesohn aus der City«.
Seit der Schießerei wurde Michael Osbourne selbst von Harry Carp milder beurteilt. Gerüchten nach war er in dieser Nacht dreimal fast an seiner Schußwunde gestorben - einmal auf dem Bootssteg von Cannon Point, einmal im Hubschrauber, einmal auf dem Operationstisch im Stony Brook Hospital. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus hatte er sich zunächst nur im Haus aufgehalten, war dann aber bald bei Spaziergängen auf dem Grundstück gesehen worden, bei denen er seinen rechten Arm unter einer alten ledernen Bomberjacke in einer Schlinge trug. Manchmal stand er am Ende des Bootsstegs und blickte über den Sund hinaus. Und manchmal, meistens abends, schien er alles um sich herum zu vergessen und blieb dort - wie Gatsby, pflegte Martha Creighton zu sagen -, bis die Nacht herabsank.
»Ich verstehe nicht, warum Mitte Januar so viel Verkehr ist«, sagte Elizabeth Osbourne und trommelte mit dem Nagel ihres Zeigefingers auf die Lederstütze zwischen den Sitzen. Sie krochen auf dem Long Island Expressway nach Osten: mit dreißig Meilen in der Stunde durch die Kleinstadt Islip.
Michael, den die Central Intelligence Agency vor einem Jahr zwangsweise in den Ruhestand versetzt hatte, bedeutete Zeit nicht viel - nicht einmal Zeit, die er im Stau vergeudete. »Heute ist Freitag«, sagte er. »Am Freitagabend ist's immer schlimm.«
Der Verkehr ließ nach, als sie aus den bis zur Inselmitte reichenden New Yorker Vororten herauskamen. Die Nacht war klar und bitterkalt; ein bleicher Dreiviertelmond hing tief über dem nördlichen Horizont. Sobald die Straße frei wurde, trat Michael das Gaspedal durch. Der Motor röhrte auf, und die Tachonadel bewegte sich zögernd auf siebzig zu. Nachdem er Vater geworden war, hatte er sich gezwungen gesehe n, seinen schnittigen, silbernen Jaguar für ein Ungetüm von einem ordentlichen, funktionalen Van in Zahlung zu geben.
Die Zwillinge in ihren rosa und blauen Schlafsäcken dösten in ihren Kindersitzen. Maggie, das englische Kindermädchen, lag in der dritten Sitzreihe und schlief fest. Elizabeth griff im Dunkel nach links und nahm Michaels Hand. Nach dreimonatigem Mutterschaftsurlaub hatte sie diese Woche wieder zu arbeiten angefangen. In dieser arbeitsfreien Zeit hatte sie nur Flanellhemden, ausgebeulte Jogging-oder weite Khakihosen getragen. Jetzt trug sie die Uniform einer hochbezahlten New Yorker Anwältin: anthrazitgraues Kostüm, geschmackvolle goldene Armbanduhr, Perlohrringe. Die in der Schwangerschaft angesetzten Pfunde hatte sie sich in vielen Stunden auf dem Laufband im Schlafzimmer ihres Apartments in der Fifth Avenue wieder abtrainiert.
Unter den schlichten Linien ihres
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