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Der Botschafter

Der Botschafter

Titel: Der Botschafter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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umgekommen waren. Beckwith hatte Blair diese Zurechtweisung nie vergessen. Obwohl er die weitaus meisten Staats-und Regierungschefs der Welt mit ihrem Vornamen ansprach, blieb Blair für ihn bewußt »Mr. Prime Minister«. Blair zahlte ihm das mit gleicher Münze heim, indem er Beckwith stets nur mit »Mr. President« ansprach.
    Beckwith aß langsam seinen Teller leer, während Blair ihm von einem »wirklich faszinierenden« Wirtschaftsfachbuch erzählte, das er auf seinem Flug von London nach Washington gelesen hatte. Blair war ein leidenschaftlicher Vielleser, und Beckwith hatte Hochachtung vor seinem scharfen Verstand.
    Jesus, sagte er sich, ich habe schon Mühe, abends meine Dossiers durchzulesen, ohne dabei einzuschlafen.
    Ein Steward räumte des Geschirr ab. Beckwith trank Tee, Blair Kaffee. Als die Getränke serviert waren, trat eine kurze Pause ein. Das Kaminfeuer prasselte wie Kleinkaliberfeuer.
    Blair sah angelegentlich aus dem Fenster zum Washington Monument hinüber, bevor er das Wort ergriff.
    »Ich möchte ein Thema sehr offen mit Ihnen besprechen, Mr. President«, sagte Blair, indem er sich vom Fenster abwandte und den Blick von Beckwith' hellblauen Augen erwiderte. »Ich weiß, daß unser Verhältnis nicht immer so gut gewesen ist, wie es sein sollte, aber ich möchte Sie trotzdem um einen großen Gefallen bitten.«
    »Unser Verhältnis ist nicht so gut, wie es sein könnte, Mr. Prime Minister, weil Sie sich öffentlich von den Vereinigten Staaten distanziert haben, als ich Luftangriffe gegen die Ausbildungslager des Schwerts von Gaza befohlen habe.
    Damals hätte ich Ihre Unterstützung gebraucht, aber Sie haben sie mir verweigert.«
    Ein Steward betrat den Raum, um das Dessert zu servieren; er merkte jedoch, daß ernste Dinge besprochen wurden, und zog sich rasch wieder zurück. Blair senkte den Kopf, schien sich bewußt zu beherrschen und sah wieder auf.
    »Mr. President, was ich damals geäußert habe, ist Ausdruck meiner Überzeugung gewesen. Ich habe diese Luftangriffe für übertrieben, vorschnell und bestenfalls dürftig begründet gehalten. Ich habe befürchtet, sie würden die Spannungen nur erhöhen und dem Friedensprozeß im Nahen Osten schaden. Ich glaube, die Ereignisse haben mir rechtgegeben.«
    Beckwith wußte, daß Blair damit den Vergeltungsangriff des Schwerts von Gaza auf dem Flughafen Heathrow meinte. »Mr. Prime Minister, wenn Sie besorgt gewesen sind, hätten Sie nach dem Telefonhörer greifen und mich anrufen sollen, statt zum nächstbesten Reporter zu laufen. Gute Verbündete halten zusammen, auch wenn ihre Führer von entge gengesetzten Enden des politischen Spektrums kommen.«
    Blairs kalter Blick ließ deutlich erkennen, daß er Beckwith' Vortrag über die Grundlagen der Staatskunst nicht goutierte. Er trank einen kleinen Schluck Kaffee, während der Präsident fortfuhr.
    »Tatsächlich vermute ich sogar, daß das Schwert von Gaza seinen Vergeltungsschlag bewußt auf britischem Boden geführt hat, weil es wegen Ihrer Kommentare gehofft hat, einen Keil zwischen zwei alte Verbündete treiben zu können.«

    Blair sah gekränkt von seinem Kaffee auf. »Sie wollen doch nicht etwa behaupten, ich sei für den Anschlag in Heathrow verantwortlich?«
    »Natürlich will ich das nicht, Mr. Prime Minister. Das würde sich für alte Freunde nicht ziemen.«
    Blair stellte die Tasse ab und schob sie etwas von sich weg.
    »Mr. President, ich möchte mit Ihnen über Botschafter Hathaways Nachfolger reden.«
    »Das ist Ihr gutes Recht«, sagte Beckwith.
    »Ich will ganz offen sein, Mr. President. Ich kenne einige der Namen, die Sie anscheinend in Betracht ziehen, und bin ehrlich gesagt nicht schrecklich beeindruckt.« Beckwith lief rot an, aber Blair sprach unbeirrbar weiter. »Ich hatte auf jemanden mit etwas mehr Talent gehofft.«
    Beckwith schwieg, während Blair seine Argumente vortrug.
    Die New York Times hatte Anfang der Woche in einem Artikel ein halbes Dutzend Kandidaten für den Posten des Botschafters in London genannt. Die Namen stimmten, weil sie der Zeitung auf Beckwith' Anweisung zugespielt worden waren. Auf der Liste standen mehrere große Gönner der Republikanischen Partei, zur Tarnung aber auch einige hohe Berufsdiplomaten.
    London war schon traditionell ein politischer Posten, und Beckwith wurde vom Republican National Comittee unter Druck gesetzt, damit einen großzügigen Wohltäter zu belohnen.
    »Mr. President, Sie kennen doch den Ausdruck in die Fresse hauen?«

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