Der Botschafter
einem Himmelbett aus dem siebzehnten Jahrhundert und einem handgeknüpften Exeter-Teppich in lebhaften Farben. Am Fuß des Betts standen ein schwarzer japanischer Lackschrank und ein einzelner Chippendalestuhl.
Auf dem Stuhl saß ein Mann mit dem Rücken zur Tür. Er stand auf, als Hartley und Douglas hereinkamen. Einen Augenblick lang hatte Douglas das Gefühl, sein eigenes Spiegelbild vor sich zu haben. Der Mund stand ihm offen, als er dem anderen die Hand hinstreckte und darauf wartete, daß er sie ergriff. Aber der Mann stand nur lächelnd da und genoß offensichtlich die Wirkung, die er erzielte. In Größe und Statur glich er genau Douglas Cannon, und sein schütter werdendes graues Haar war so geschnitten und frisiert wie das seines Vorbilds. Seine Haut war die eines Mannes, der frische Luft liebt: rosige Wangen, lederartige Haut, große Poren. Die Gesichtszüge waren nicht ganz identisch - seine Augen standen etwas enger zusammen -, aber der Gesamteindruck war verblüffend.
Dann wurde die Tür des Ankleidezimmers geöffnet, und Michael trat von Graham Seymour gefolgt über die Schwelle.
Als er den verwirrten Gesichtsausdruck seines Schwiegervaters sah, begann er schallend zu lachen.
»Botschafter Douglas Cannon«, sagte Michael, »darf ich Ihnen Botschafter Douglas Cannon vorstellen?«
Douglas schüttelte ungläubig den Kopf. »Der Teufel soll mich holen!« murmelte er.
Rebecca Wells beobachtete an diesem Nachmittag Vögel. Sie war seit drei Tagen in Norfolk und lebte in einem kleinen gemieteten Wohnwagen am Strand außerhalb von Sheringham.
Sie war die Küste von Hunstanton im Westen bis nach Cromer im Osten entlanggewandert, war auf dem Peddars Way und dem Norfolk Coast Path mit ihrem Fernglas und ihren Kameras unterwegs gewesen und hatte die hiesige Vogelwelt fotografiert
- Schnepfen und Rotschenkel, Brachvögel und Rebhühner. Sie war noch nie in Norfolk gewesen und schien jeden Tag für eine Weile zu vergessen, warum sie eigentlich hier war. Diese Küste war ein magischer Ort mit Salzsümpfen, Prielen, Wattflächen und Stranden, die sich bis zum Horizont erstreckten - flach, einsam, kahl und eigenartig schön.
Am Spätnachmittag erreichte sie den Great North Wood, der an den Landsitz Hartley Hall grenzte. Aus ihrem Führer wußte sie, daß die Familie Hartley diesen Wald vor vierzig Jahren an den Staat abgetreten und dieser ihn als Naturschutzgebiet ausgewiesen hatte. Sie folgte einem sandigen Waldweg, der mit einer dicken Schicht Tannennadeln gepolstert war, und ließ sich hinter einem für Vogelbeobachter errichteten Sichtschutz nieder.
Sie tat so, als ob sie eine hier überwinternde Schar Ringelgänse fotografierte. In Wirklichkeit beobachtete sie jedoch den Landsitz Hartley Hall, der unmittelbar südlich des Waldes jenseits einer Wiese stand. Botschafter Cannon sollte um vier Uhr eintreffen. Viertel vor vier erreichte sie den Sichtschutz. Die Sonne ging bereits unter, und es wurde rasch bitterkalt. Der Himmel im Westen verfärbte sich in zarten Purpur-und Orangetönen wie aus einem Aquarellkasten. Wind kam auf und bewegte die Bäume. Sie rieb sich ihr Gesicht mit behandschuhten Händen, um es zu wärmen.
Fünf nach vier hörte sie mehrere Autos durch den Wald fahren. Im nächsten Augenblick tauchten sie aus dem Dunkel auf und bogen auf Hartleys private Zufahrt ab. Als die kleine Wagenkolonne hielt, trat ein Mann aus der Südveranda. Rebecca Wells hob ihr Fernglas an die Augen. Sie beobachtete, wie Douglas Cannon aus seinem Wagen stieg und dem anderen Mann die Hand schüttelte. Dann machten die beiden einen Rundgang um Hartley Hall, bei dem Rebecca sie weiter aufmerksam beobachtete.
Als die Männer schließlich im Haus verschwanden, stand sie auf und verstaute Fernglas und Kameras wieder in ihrem Nylonrucksack. Sie kehrte durch den Wald zu dem Parkplatz zurück, auf dem ihr gemieteter Vauxhall stand, und fuhr auf der schmalen Küstenstraße zu ihrem Wohnwagen am Strand.
Inzwischen war es ganz dunkel, und der Campingplatz war bis auf ein Ehepaar in einem Wohnmobil und eine kleine Gruppe dänischer Jugendlicher, die mit Rucksäcken durch Norfolk wanderten, praktisch leer. Die vier Mitglieder ihres Teams waren auf andere Campingplätze entlang der Küste verteilt. Die Flut lief ab, und der Seewind brachte den Schlammgeruch des Watts mit sich. Rebecca sperrte ihren Wohnwagen auf und schaltete die Elektroheizung ein. Sie zündete den Gaskocher an, setzte Wasser auf und machte sich eine Kanne
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