Der Botschafter
NesCafé. Nachdem sie eine Thermosflasche damit gefüllt hatte, goß sie den Rest in einen Keramikbecher, aus dem sie trank, während sie am Strand auf und ab ging.
Erstmals seit sehr langer Zeit empfand sie einen ganz ungewohnten inneren Frieden. Das liegt an dieser Küste, sagte sie sich, an dieser schönen, mystischen Küste. Sie überlegte, wie eigenartig es war, durch ein Dorf zu fahren, in dem es keinerlei Hinweise auf einen Glaubenskrieg gab: keine Union Jacks oder Trikoloren, keine kriegerischen Wandgemälde oder an Mauern geschmierte politische Parolen, keine festungsartigen Polizeistationen. Der Konflikt hatte ihr ganzes bisheriges Leben beherrscht. Ihr Vater hatte mit einer paramilitärischen Protestantengruppe sympathisiert, und sie hatte einen UVF-Angehörigen geheiratet. Sie war dazu erzogen worden, Katholiken zu hassen und ihnen zu mißtrauen. In Portadown war der Konflikt allgegenwärtig; es gab keine Möglichkeit, ihm zu entkommen. In Portadown als Protestantin zu leben, hatte ihrer Existenz einen Sinn gegeben. Dort war sie einer langen Tradition verpflichtet gewesen. Die Rituale des Hasses, die Zyklen von Mord und Rache hatten dem Alltag eine makabre Ordnung gegeben.
Sie überlegte, was nach dem Attentat geschehen würde. Kyle Blake hatte dafür gesorgt, daß sie Geld, einen falschen Paß und ein Versteck in Paris hatte. Sie war sich darüber im klaren, daß sie monatelang, vielleicht sogar jahrelang würde untertauchen müssen. Vielleicht würde sie niemals nach Portadown zurückkehren können.
Rebecca trank ihren Kaffee aus und beobachtete dabei, wie die im Mondschein phosphoreszierenden Wellen sich am Strand brachen. Ich wollte, ich könnte am Meer leben, dachte sie. Ich wollte, ich könnte ewig hierbleiben.
Sie ging im Dunkel zu dem Wohnwagen zurück, sperrte auf und schaltete ihren Laptop ein. Nachdem sie über ein Funkmodem die Verbindung zu ihrem Internet-Server hergestellt hatte, verfaßte sie eine kurze E-Mail.
HIER IN NORFOLK GEFÄLLT ES MIR AUSGEZEICHNET. ES IST KALT, ABER TROTZDEM SEHR SCHÖN. HEUTE HABE ICH EINIGE SELTENE VOGELARTEN BEOBACHTET. ICH BLEIBE VORAUSSICHTLICH NOCH EIN PAAR TAGE.
Sie schickte die E-Mail ab und schaltete ihren Laptop aus.
Dann packte sie die Thermoskanne und eine Packung Zigaretten ein. Heute nacht hatte sie eine sehr lange Fahrt vor sich. Sie schloß den Wohnwagen ab und setzte sich in den Vauxhall.
Wenig später war sie auf der A148 nach King's Lynn unterwegs - das erste Etappenziel ihrer Fahrt zur schottischen Westküste.
»Tatsächlich heißt er Oliver Taylor«, sagte Graham Seyrnour zu Douglas. »Aber ich möchte, daß Sie seinen Namen sofort wieder vergessen. Er ist Beschatter von Beruf, nicht wahr, Oliver? Einer der Besten in seinem Fach.«
»Die Ähnlichkeit ist verblüffend«, stellte Douglas erstaunt fest.
»Heutzutage bildet Oliver vor allem neue Leute aus, aber wir setzen ihn manchmal noch ein, wenn wir einen echten Profi brauchen. Er hat einige Zeit die schöne Rebecca Wells beschattet, stimmt's, Oliver?«
Taylor nickte wortlos.
»Kommen Sie bitte mit, Botschafter Cannon«, forderte Graham ihn auf. »Ich möchte Ihnen einiges zeigen.«
Graham führte Douglas und Michael nach nebenan in ein Zimmer voller elektronischer Geräte und Bildschirme. Die beiden Techniker begrüßten die Besucher mit einem kurzen Nicken und konzentrierten sich dann wieder auf ihre Arbeit.
»Dies ist das elektronische Nervenzentrum des Unternehmens«, erklärte Graham dem Botschafter. »Die gesamte Umgebung von Hartley Hall ist mit Infrarotkameras, Bewegungsmeldern und Wärmesensoren gespickt. Sobald die Ulster Freedom Brigade versucht, in Position zu gehen, schrillen hier sämtliche Alarmglocken.«
»Weshalb sind Sie sich so sicher, daß sie's versuchen wird?« fragte Douglas.
»Weil Rebecca Wells in Norfolk ist«, antwortete Graham.
»Sie lebt seit drei Tagen nur wenige Meilen von hier entfernt in einem Mietwohnwagen am Strand. Und als Sie angekommen sind, ist sie im North Wood gewesen. Sie weiß also, daß Sie hier sind.«
»Tatsächlich hat sie den Campingplatz eben verlassen, Sir«, sagte einer der Techniker.
»Wohin fährt sie?«
»Sie ist auf der Küstenstraße nach Westen unterwegs.«
»Was ist mit dem Wohnwagen?« fragte Michael.
»Der steht noch dort, Sir.«
»Diese Männer sind gewissermaßen unsere Sicheln, Botschafter Cannon«, sagte Graham. »Jetzt möchte ich Ihnen noch unsere Knüppel vorstellen.«
Der Special Air Service ist
Weitere Kostenlose Bücher