Der Bourne Befehl
Ost und West zu überbrücken – ein edler Versuch, die beiden Kulturkreise einander näherzubringen, damit sie lernten, friedlich miteinander auszukommen. Aber warum ließen sie es dann zu, dass ein Extremist wie Abdul-Qahaar, der sich als moderater Muslim ausgab, das sensible Gleichgewicht von Severus Domna störte? Es ergab einfach keinen Sinn. Bourne sah Essai mit strengem Blick an. Einmal mehr fragte er sich, ob dieser Mann Freund oder Feind war.
»Sie wollen wissen, für wen Christien Norén gearbeitet hat – geht es darum?«
»Das will jeder hier im Haus wissen«, sagte Essai und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Wir dachten, Kaja wüsste es oder könnte uns zumindest einen Hinweis geben. Darum wollte Don Fernando ja, dass ich sie zusammen mit Vegas herbringe.«
»Warum haben Sie mir das alles nicht schon in Kolumbien erzählt?«
»Kajas Vater hatte es auf Ihren ehemaligen Chef abgesehen. Ich hörte, dass Sie beide sich nahegestanden haben. Ich konnte nicht wissen, ob Sie tun würden, was getan werden muss, wenn Sie wüssten, wer sie wirklich ist.«
Die Erklärung klang einleuchtend, und vielleicht entsprach sie auch der Wahrheit – aber bei Essai konnte man sich nie sicher sein. Don Fernando hatte ihn gewarnt, dass Essai ein krankhafter Lügner sei, wenngleich Bourne das auch schon von sich aus vermutet hatte. Andererseits war es immer wertvoll, eine Bestätigung für einen Verdacht zu bekommen.
»Und wenn ich nicht zufällig vorbeigekommen wäre?«
Essai zuckte mit den Schultern. »Ich hatte gerade mit Roberto Corellos darüber verhandelt, dass er mir hilft – da kamen Sie zu mir wie ein Geschenk Allahs.« Er lächelte. »Sie tauchen gern unerwartet auf – zum Beispiel damals in meinem Haus.« Er hob die Hand und winkte ab. »Aber das ist alles Schnee von gestern, glauben Sie mir.«
Ein Gespräch mit Essai war eine anstrengende Sache, weil man nie genau wusste, was er wirklich meinte und was er einem verschwieg. »Leider verrät uns das alles noch nicht, was die Domna vorhat.«
»Es gibt da noch etwas, das Sie interessieren wird«, sagte Essai. Er beugte sich vor und fügte mit leiserer Stimme hinzu: »Benjamin El-Arian ist mehrmals heimlich nach Damaskus gereist. Ich habe das zufällig herausgefunden, ausgerechnet durch Estevan Vegas. Als ich seine Frachtpapiere durchsah, fiel mir eine Unregelmäßigkeit bei den Geldbeträgen auf. Der Grund dafür war, wie sich herausstellte, ein Erste-Klasse-Ticket von Paris nach Damaskus. Ich ging der Sache nach und stieß auf El-Arians Namen. Es zeigte sich, dass das nicht seine erste Reise nach Damaskus war. El-Arian nahm das Geld dafür von den Gewinnen aus den Exporten, die über die Ölfelder in Kolumbien gelaufen sind – die Ölfelder, die Vegas für Don Fernando managt.«
»Irgendeine Idee, was El-Arian in Damaskus wollte?«
Essai schüttelte den Kopf. »In diesem Punkt bin ich mit meinen Nachforschungen in einer Sackgasse gelandet. Aber ich glaube, es hat mit der Gruppe zu tun, für die Norén gearbeitet hat.«
»Das passt nicht zusammen«, meinte Bourne. »Die Männer, die es auf Kaja und ihre Schwestern abgesehen hatten, waren Russen.«
Essai stand auf. »Trotzdem – die spärlichen Hinweise, die meine Kontaktleute in Damaskus gefunden haben, deuten auf einen Zusammenhang hin.«
Bourne fragte sich, warum Essai unbedingt wissen wollte, für wen Christien Norén gearbeitet hatte. Plötzlich kam ihm die Antwort wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Essai glaubte genauso wenig an die Geschichte, wie es zu dem Abkommen zwischen El-Arian und der Moschee gekommen sein sollte. Er war genauso misstrauisch wie Bourne selbst. Bestimmt dachte er, dass der wahre Grund erst ans Licht kommen würde, wenn das Rätsel um Christien Norén gelöst war.
»Haben Sie Don Fernando davon erzählt?«
Essai sah ihn mit einem hintergründigen Lächeln an. »Das wissen nur wir zwei.«
Boris rührte sich nicht von der Stelle. In der Gasse stank es nach Fisch und altem Bratöl. Der Verkehr der Stadt war als beständiges Summen zu hören. Zatschek schlenderte völlig sorglos auf ihn zu. Er sah recht elegant aus in seinem langen, schwarzen Kaschmirmantel, den schwarzen Ziegenlederhandschuhen und seinen auf Hochglanz polierten Halbschuhen mit den dicken, wahrscheinlich stahlverstärkten Sohlen, wie sie schon zu KGB-Zeiten beliebt waren. Manche Dinge kamen eben nie aus der Mode, dachte Boris, auch nicht in der Internet-Generation.
Als Zatschek die beiden Männer am
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