Der Bourne Befehl
neutralen Lippenstift, doch sie wollte Eindruck auf Jacques Robbinet machen, mit dem sie sich heute treffen würde. Aber in der Ankunftshalle erwartete sie nicht der Minister, sondern ein Mann, der sich als Inspektor Aaron Lipkin-Renais vorstellte.
Er war groß, lattendürr und hatte eine typisch gallische Nase, die aus seinem Gesicht ragte wie der Bug eines Piratenschiffs. Seinen maßgeschneiderten Anzug trug er, wie es nur ein Franzose kann. Ein Gentleman, dachte sie, als er ihr die Hand reichte und sich tief über die ihre beugte.
»Der Minister lässt sich entschuldigen«, sagte er in etwas undeutlich artikuliertem Englisch. »Er musste leider zu einer Ministerratssitzung in den Élysée-Palast und kann Sie deshalb nicht persönlich abholen.« Er sah sie mit einem bescheidenen Lächeln an. »Ich fürchte, Sie müssen mit mir vorliebnehmen.«
»Je ne crains pas le moins du monde« , versicherte sie in perfektem Pariser Französisch. Es macht mir nicht das Geringste aus.
Auf Aarons langem Pferdegesicht erschien ein breites Lächeln. »Eh bien, maintenant tout devient clair.« Ah ja, jetzt wird mir alles klar.
Er nahm ihr die kleine Reisetasche ab, und sie schritten zusammen durch die Ankunftshalle, während Soraya ihn etwas näher betrachtete. Er war ungefähr Mitte dreißig und für einen Franzosen sehr fit. Sie fand ihn zwar nicht direkt gut aussehend, doch er hatte durchaus etwas Anziehendes, etwas Jungenhaftes in seinen grauen Augen, das den Panzer des Zynismus durchbrach, den man sich in der Geheimdienstarbeit zwangsläufig zulegte. Sie würde wohl ganz gut mit ihm auskommen.
Der Regen war in ein leichtes Nieseln übergegangen. Der Himmel schien seine grauen Schleier zurückziehen zu wollen. Es war außergewöhnlich mild. Ein leichter Wind fuhr ihr durchs Haar. Aaron führte sie zu einem dunklen Peugeot, der am Straßenrand stand. Der Fahrer stieg aus, nahm seinem Chef Sorayas Tasche ab und stellte sie in den Kofferraum. Aaron öffnete ihr die hintere Tür, sie stieg ein, und er setzte sich neben sie.
»Monsieur Robbinet hat Ihnen ein Zimmer im Astor Saint-Honoré reserviert. Es liegt zentral, ganz in der Nähe des Élysée-Palasts. Möchten Sie zuerst ins Hotel und sich frisch machen?«
»Nein, danke«, antwortete Soraya. »Ich würde gern Laurents Leiche sehen und auch den Forensik-Bericht.«
Er zog eine Akte aus der Tasche an der Rückenlehne des Fahrersitzes und reichte sie ihr. »Sie sind Halbägypterin, nicht wahr?«
»Ist das ein Problem?« Sie sah ihm in seine grauen Augen und suchte nach einem Anzeichen eines Vorurteils.
»Nicht für mich. Für Sie?«
»Überhaupt nicht.«
Sie beruhigte sich innerlich wieder. Jetzt verstand sie, warum er gefragt hatte. Aaron war Jude. Durch die massive Zuwanderung von Muslimen in den letzten Jahren war die Situation für Juden in Frankreich, insbesondere in Paris, teilweise etwas unangenehm geworden. Jüdische Kinder wurden oft zur Zielscheibe in der Schule. Fast täglich kam es vor, dass ein jüdisches Kind von muslimischen Jugendlichen verprügelt wurde. Sie hatte erst kürzlich einen erschreckenden Bericht gelesen, wonach viele jüdische Familien Frankreich verließen, weil sie das Gefühl hatten, dass ihre Kinder in der aufgeladenen Atmosphäre nicht mehr sicher waren.
Er lächelte ihr zu, und sie erkannte sich in ihm wieder – das semitische Erbe, das Arabern und Juden gemeinsam war, das sie tragischerweise aber nicht als solches anerkennen wollten.
Sie lächelte zurück und hoffte, dass er die Sache genauso sah wie sie. Dann schlug sie die Mappe auf und begann darin zu blättern. Sie stieß auf mehrere Fotos von Laurent, die das Forensik-Team am Tatort angefertigt hatte, und zog scharf die Luft ein. Es war wirklich kein schöner Anblick.
»Es sieht so aus, als hätte ihn das Auto zuerst niedergestoßen und dann überfahren.«
Aaron nickte. »Ja, so sieht es aus. Anders lassen sich die beiden Verletzungen nicht erklären – am Brustkorb und am Kopf.«
»Sie sind sicher nicht gleichzeitig entstanden.«
»Nein«, bestätigte er. »Unser Gerichtsmediziner sieht das genauso.« Er tippte auf eines der Fotos. »Jemand muss diesen Mann sehr gehasst haben.«
»Oder wollte nicht, dass er noch etwas sagen kann.«
Aaron sah sie abrupt an. »Ah, jetzt geht mir ein Licht auf. Deshalb interessieren Sie sich für den Mord. Die Sache ist von internationaler Tragweite.«
»Ich sage kein Wort.«
»Das müssen Sie auch nicht.« Wieder dieses jungenhafte
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