Der Bourne Befehl
Neuzeit in Europa allgemein.
Während Peter beobachtete, wie Hendricks aus seinem kugelsicheren Wagen stieg, fragte er sich, was der Verteidigungsminister in der Bibliothek machte. Schließlich arbeitete er ja nicht an einer Doktorarbeit über Shakespeare oder über England zur Zeit der Tudors und der Stuarts.
Besonders interessant war, dass ihn keiner seiner Bodyguards begleitete, als er die Treppe zum Gebäude hinaufstieg. Peter sah auf seine Uhr; es war kurz nach vier, und das bedeutete, dass die Bibliothek für Besucher bereits geschlossen war.
Peter kannte das Haus. Es gab einen Seiteneingang für die Mitarbeiter und interessierte Wissenschaftler. Er fuhr um den Block herum, stellte seinen Wagen ab und ging zum Seiteneingang, der hinter einer Buchsbaumhecke verborgen war. Die massive Eichenholztür erinnerte Peter an ein mittelalterliches Burgtor. Er zog einen der Lockpicks hervor, die er stets bei sich trug. Er hatte sie selbst angefertigt, nachdem er sich vor fünf Jahren einmal aus seiner Wohnung ausgesperrt hatte.
Binnen dreißig Sekunden war er drinnen und schlich durch den schwach beleuchteten Korridor, in dem es nach alten Büchern roch, ein ihm angenehmer und vertrauter Geruch, der ihn an seine Jugend erinnerte, als er oft stundenlang in Antiquariaten gestöbert hatte. Manchmal genügte es ihm auch, einen der schweren Bände in den Händen zu halten und sich vorzustellen, wie er selbst eines Tages als älterer Mann in seiner Bibliothek sitzen würde, von den Büchern umgeben, die er in seinem Leben zusammengetragen hatte.
Er blickte sich nach Mitarbeitern oder Sicherheitsleuten um, sah aber niemanden. Lautlos schlich er durch Räume voller Bücher in alarmgesicherten Schränken und weiter durch stille holzgetäfelte Korridore.
Plötzlich hörte er gedämpfte Stimmen und näherte sich ihnen vorsichtig. Eine der Stimmen war Hendricks, die andere war ebenfalls männlich, aber etwas höher. Und nach einiger Zeit kam sie ihm auf unangenehme Weise bekannt vor. Der Tonfall, die langatmigen Sätze ohne Pausen. Als er den Raum, in dem er sich befand, durchquert hatte, hörte er die Stimmen durch die offene Tür zum Nebenraum deutlicher, und er erstarrte.
Der Mann, mit dem sich Hendricks unterhielt, war niemand anderes als M. Errol Danziger, der Direktor der Central Intelligence. Er hatte Soraya gefeuert – einer der Gründe, warum Peter gekündigt hatte; er hatte kommen sehen, dass er sie hinauswerfen würde. Und jetzt war Danziger im Begriff, die stolze Organisation zu ruinieren, die der große Alte der CI einst in der Nachfolge des OSS aus dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut hatte.
Peter schlich sich näher an die Tür heran. Wenn Hendricks einen Deal mit Danziger ausheckt, dann wundert es mich nicht, dass er’s uns verschweigt .
Er hörte sie nun klar und deutlich.
»… nicht wahr?«, hörte er Hendricks’ Stimme.
»Kann ich nicht sagen«, antwortete Danziger.
»Sie meinen, Sie wollen es nicht sagen.«
Ein tiefer Seufzer, wahrscheinlich vom CI-Direktor.
»Ich verstehe nicht, wozu diese ganze Geheimniskrämerei gut sein soll. Warum müssen wir uns hier treffen? Mein Büro …«
»Wir haben ausgemacht, dass wir uns nie in Ihrem Büro treffen«, erwiderte Hendricks, »aus genau dem gleichen Grund, warum Sie nicht zu der Sitzung ins Oval Office eingeladen wurden.«
Einige Augenblicke herrschte angespanntes Schweigen, so kam es Peter jedenfalls vor.
»Also gut, was wollen Sie von mir, Mr. Secretary?«, fragte Danziger mit einer völlig emotionslosen, roboterhaften Stimme.
»Kooperation«, antwortete Hendricks. »Das ist es, was wir alle wollen, und mit wir meine ich vor allem den Präsidenten. In Sachen Samaritan bin ich seine Stimme. Ist das klar?«
»Völlig«, sagte Danziger. Obwohl Peter einige Meter entfernt war, hörte er deutlich die Bitterkeit in Danzigers Stimme.
»Gut«, sagte Hendricks. Marks fragte sich, ob ihm der giftige Ton des CI-Direktors entgangen war oder ob er ihn einfach ignorierte. »Ich sage das nämlich nicht noch einmal.« Man hörte leises Rascheln. »Von Samaritan weiß jeder nur so viel, wie er unbedingt wissen muss. Das heißt, auch die Leute, die Sie auswählen, werden nichts davon erfahren, bis sie in Indigo Ridge eintreffen. Samaritan hat für den Präsidenten oberste Priorität, und das heißt, es hat ab sofort auch für uns oberste Priorität. Hier sind Ihre Anweisungen. Ihre Leute werden in achtundvierzig Stunden mit den anderen in Indigo Ridge
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