Der Bourne Befehl
gegen die Domna beschränkte. Danach war alles offen.
Das Essen kam, ein duftender, dampfender Teller – und er merkte jetzt erst, wie ausgehungert er war. Während er den Bohneneintopf verdrückte und die Maisfladen in die würzige Sauce tunkte, liefen seine Gedanken weiter. Vor allem beschäftigte ihn Essais Behauptung, Severus Domna habe Boris angeheuert, um ihn zu töten. Auf den ersten Blick erschien ihm das absolut unmöglich, doch wenn man die Hintergründe kannte, wurde die Sache schon plausibler. Benjamin El-Arian hatte seinem Freund eine Falle gestellt, aus der er schwer herauskam. Bourne wusste, dass Boris sich mehr als alles andere gewünscht hatte, die Leitung des FSB-2 zu übernehmen. In gewisser Weise hatte er sein ganzes Leben auf dieses Ziel hingearbeitet. Und wenn er wählen musste, ob er sein geliebtes Amt behalten oder Bourne verschonen wollte – was würde er tun? Bourne musste sich zu seiner Bestürzung eingestehen, dass er es nicht wusste. Gewiss, Boris war ein Freund, dem er in einer bewaffneten Auseinandersetzung im Iran das Leben gerettet hatte, aber Boris war Russe durch und durch. Sein Ethos war etwas anders als das seine, sodass es schwer vorherzusehen war, wie er reagieren würde.
Die Vorstellung, dass Boris hinter ihm her sein könnte, jagte ihm trotz der Hitze einen kalten Schauer über den Rücken. Er zog Essais Satellitentelefon hervor, legte es auf den Tisch und sah es eine Weile an. Er unterdrückte den Drang, Boris anzurufen und ihn ganz direkt zu fragen, auf welcher Seite er stand. Das wäre ein schwerer Fehler gewesen. Wenn Boris nichts gegen ihn im Schilde führte, wäre er tödlich beleidigt – und wahrscheinlich würde er auch dann beleidigt reagieren, wenn er wirklich vorhatte, ihn zu töten. Außerdem wäre Boris – wenn es stimmte, was Essai sagte – durch seinen Anruf gewarnt, und er selbst würde einen wichtigen Vorteil verlieren.
Er wischte das Telefon vom Tisch wie eine Schachfigur. Nein, dachte er, das Beste war, wenn er Schritt für Schritt weiterging, auch wenn er nicht wusste, was ihn erwartete. Das war er gewohnt. Seine Vergangenheit lag im Dunkeln, und er war in einer Schattenwelt wieder aufgetaucht, die zwangsläufig voller Ungewissheit war. Nichts aus seinem früheren Leben war für ihn noch greifbar, nicht was er erlebt und gefühlt hatte, auch nicht die Menschen, die ihm einmal wichtig gewesen waren. Wenn hin und wieder ein Bruchstück seiner Erinnerung zurückkehrte, so machte das sein Gefühl des Alleinseins und der Hilflosigkeit nur noch schlimmer.
Plötzlich sah er wieder das Gesicht der Frau auf der Toilette dieser Disco irgendwo in Skandinavien vor sich, den Schweißglanz auf ihrem Gesicht, das spöttische Lächeln, die Pistole, die sie auf ihn richtete. Was für ein Modell war die Waffe? Er versuchte angestrengt, sich zu erinnern, doch alles, was er sah, war ihr Gesicht, in dem keine Spur von Angst oder Resignation zu erkennen war. Er spürte den Pelzkragen an seinen Wangen. Ihre roten Lippen hatten sich geöffnet, sie hatte noch etwas gesagt, bevor er sie tötete. Aber was? Was hatte die Frau gesagt? Er hatte das Gefühl, dass es etwas Wichtiges war, auch wenn er nicht wusste, warum. Und dann verschwand die Erinnerung wieder im Dunkel einer Vergangenheit, die ihm vorkam, als würde sie zu einem anderen gehören.
Es war eine unsägliche Qual, von seinem eigenen Leben getrennt zu sein. Er lebte in einer unbekannten Welt, in der ihm sogar die Sterne über ihm fremd erschienen und in der die Sonne nicht mehr aufging. Eine Welt, in der die Dunkelheit sein ständiger Begleiter war.
Die Dunkelheit und der Schmerz.
SECHS
Soraya kam an einem grauen, verregneten Morgen in Paris an. Das Wetter machte ihr nichts aus. Paris war eine der wenigen Städte, die sie auch mochte, wenn es regnete. Die nassen Straßen erzeugten eine melancholische Stimmung, die die Schönheit der Stadt auf eigenartige Weise noch betonte. Es war, als würde der Regen die Kruste der modernen Welt wegschwemmen und die Fassaden der Geschichte ans Licht bringen, so als hätte jemand die Seiten in einem Buch zurückgeblättert. Außerdem würde sie in wenigen Stunden Amun wiedersehen. In der Erste-Klasse-Lounge duschte sie und zog frische Kleider an, dann nahm sie sich eine Viertelstunde, um sich zu schminken, während sie einen Becher eines schauderhaften Kaffees trank und ein Croissant aß, das nach Verpackung schmeckte.
Sie schminkte sich nur selten, abgesehen von einem
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