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Der Bourne Befehl

Der Bourne Befehl

Titel: Der Bourne Befehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum , Eric Van Lustbader
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da war. Er konnte Alix nicht ansehen oder gar zu ihr ins Zimmer gehen. »Was hätte es denn für einen Sinn?«, antwortete er eines Morgens auf Boris’ Frage. »Sie würde es ja doch nicht mitbekommen.«
    Doch das stimmte nicht; Karpow wusste, dass Alix es sehr wohl spürte, wenn jemand bei ihr war. Oft drückte sie seine Hand, wenn er sich zu ihr ans Bett setzte. Er las ihr Geschichten aus Büchern vor, die er gekauft hatte. Manchmal las er auch aus Schulbüchern, wenn ihm etwas wichtig genug erschien, um es zu lernen. In diesen Stunden mit seiner Schwester entwickelte er eine Liebe zur Geschichte. Am liebsten las er ihr aus Büchern über Russlands Vergangenheit vor, auch wenn vieles darin traurig und bedrückend war.
    Karpow saß an ihrem Bett, als sie im Krankenhaus starb. Als der Arzt ihren Tod feststellte, legte sich eine drückende Stille über den Raum. Es war, als wäre die ganze Welt zum Stillstand gekommen, auch sein eigenes Herz. Er beugte sich über Alix’ wächsernes Gesicht und küsste sie auf die kühle Stirn. Man sah ihr nicht an, was für ein grausamer Kampf in ihrem Gehirn getobt hatte.
    »Kann ich irgendwas für dich tun?«, hatte die Schwester gefragt, als er aus dem Zimmer ging.
    Er schüttelte den Kopf, unfähig, ein Wort herauszubringen. Geräusche hallten von den Wänden der Gänge wider – das gequälte Stöhnen der Kranken und Sterbenden. Draußen in der Moskauer Dämmerung fiel Schnee. Die Leute gingen an ihm vorbei, schwatzten, rauchten, manche lachten sogar. Zwei junge Leute – ein Mann und eine Frau – steckten die Köpfe zusammen und flüsterten einander etwas zu, als sie über die Straße gingen. Eine Mutter sang ein leises Lied für ihren kleinen Jungen. Karpow beobachtete die alltäglichen Dinge wie ein Häftling, der durch sein vergittertes Fenster den Himmel und die vorbeiziehenden Wolken betrachtet. Diese Dinge hatten nichts mehr mit ihm zu tun. Er war von ihnen abgetrennt, wie ein kranker Ast von einem Baum abgeschnitten wird.
    Alix war nicht mehr da, und er spürte eine schmerzliche Leere in seinem Herzen. Schließlich kamen die Tränen, und er ging ziellos durch die Straßen, sah zu, wie sich der Schnee auftürmte, und lauschte den Glocken der Basilius-Kathedrale. Er weinte um seine Schwester, aber auch um sich selbst, weil er jetzt wirklich ganz allein auf der Welt war.
    »Sir?«
    Die Flugbegleiterin war mit seiner Milch und den Keksen zurückgekommen, und Karpow schüttelte sich wie ein Hund, der aus dem Regen hereinkam.
    »Tut mir leid«, sagte sie. »Soll ich später wiederkommen?«
    Er schüttelte den Kopf, und sie stellte ihm den Teller mit den Keksen und das Glas Milch hin.
    »Ist noch warm«, sagte sie. »Möchten Sie sonst noch etwas?«
    Karpow lächelte ihr zu, doch es war ein trauriges Lächeln. »Sie könnten sich zu mir setzen.«
    Ihr glockenhelles Lachen wehte wie eine kühle Brise über ihn hinweg. »Sie sind ja ein richtiger Charmeur, Mr. Stonyfield«, sagte sie, schüttelte den Kopf und ging weiter.
    Karpow blickte auf die Kekse hinunter, ohne sie wirklich zu sehen. Er dachte an Jason Bourne, an das, was er zu tun hatte, und daran, was seine Entscheidung nicht nur für die Gegenwart bedeuten würde, sondern für sein ganzes restliches Leben.
    Nichts würde mehr so sein wie zuvor. Der Gedanke machte ihm keine Angst – mit der Ungewissheit hatte er längst zu leben gelernt. Aber er hatte ein flaues Gefühl im Magen, als würde ein Schwarm Nachtfalter darin herumflattern und darauf warten, dass das Unvermeidliche passierte.
    Es würde nicht mehr lange dauern. Das war das Einzige, was er sicher wusste.
    Marcel Probst, der IT-Techniker, zu dem Inspektor Lipkin-Renais das Handy und die SIM-Karte des Toten gebracht hatte, war einer dieser Franzosen, für die Wein, Käse und ein arrogantes Lächeln die wesentlichen Dinge im Leben zu sein schienen.
    Kurz nachdem sie mit Aaron zu ihm gekommen war, ließ Probst mit seiner säuerlichen, fast beleidigten Miene erkennen, dass er Soraya nicht mochte. Sie wusste nicht, ob es daran lag, dass sie Muslimin war oder eine Frau, oder an beidem.
    Andererseits schien ihm auch Aaron nicht sonderlich sympathisch zu sein, also machte sie sich darüber keine Gedanken. Sein griesgrämiges Gesicht sprach jedenfalls Bände.
    Probst war ein elegant gekleideter Mann Ende vierzig. Er war äußerlich das genaue Gegenteil der amerikanischen IT-Techniker, die Soraya kannte. Liberté , égalité , fraternité , dachte sie, als sie an seinen

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