Der Bourne Verrat: Roman (German Edition)
er aus und ging zur Anlegestelle hinunter. Die meisten Boote waren schon für den Winter abgedeckt. Manche Plätze waren frei, die dazugehörigen Boote im Trockendock. Auf einigen Fahrzeugen wurde gearbeitet – Angelausrüstung wurde verstaut, die Decks mit Schläuchen abgespritzt, Sitze und Relings geputzt. Peter nickte den Leuten im Vorbeischlendern lächelnd zu. Er rief sich in Erinnerung, dass es in einem Jachthafen eher gemächlich zuging, hier würde jede Hektik und Eile auffallen.
Es erschien ihm merkwürdig, dass ein Leibwächter wie Florin Popa ein Boot besitzen sollte. Doch wenn man bedachte, wie gut er den Schlüssel versteckt hatte, war es durchaus denkbar, dass ihm die Recursive nicht gehörte. Vielleicht hatte er sie nur benutzt.
Peter folgte den Nummern der Liegeplätze, bis er zur 31 gelangte. Die Recursive war eine elf Meter lange Cobalt mit Innenbordmotor – ein Vergnügungsboot, nach dem offenen Deck und der Anordnung der Sitze zu schließen. Er sprang an Bord und vergewisserte sich zunächst, dass sich niemand auf dem Boot befand. Das war schnell erledigt, da das Boot über keine geschlossene Kabine verfügte.
Er zog den Schlüssel hervor und steckte ihn ins Zündschloss, doch er passte nicht ganz hinein: Das Boot ließ sich damit nicht starten. Peter machte sich auf die Suche, hob jedes Kissen auf und öffnete das kleine Handschuhfach vor dem Beifahrersitz sowie einen etwas größeren Stauraum, ohne etwas zu finden. Es gab keinen Schlitz und kein Schloss, zu dem der Schlüssel passte.
Inzwischen hatte sich die Abenddämmerung über Washington gesenkt, und ein kühler Wind strich über das Wasser. Peter saß auf einem Kissen, starrte ins Nichts hinaus und dachte nach, was er übersehen hatte. Auf dem Schlüssel war der Name Recursive eingraviert. Er befand sich an Bord der Recursive . Warum fand er nicht, was sich mit dem Schlüssel öffnen ließ?
Er dachte noch eine Viertelstunde über das Rätsel nach. Inzwischen war es dunkel geworden, die Lichter waren eingeschaltet, und er musste sich – zumindest vorläufig – mit der Niederlage abfinden. Nach kurzem Überlegen rief er Soraya an, wurde jedoch sofort mit der Voicemail verbunden. Er hinterließ ihr eine kurze Nachricht, die natürlich vieles offen ließ, und bat sie um einen Rückruf.
Zu Hause bereitete er sich eine Mahlzeit aus Resten zu und aß ohne großen Appetit. Danach ging er in der Wohnung auf und ab, strich mit der Hand geistesabwesend über den einen oder anderen Gegenstand, während seine Gedanken auf Hochtouren liefen. Schließlich gab er es auf, legte eine DVD ein und sah sich einige Episoden von Mad Men an, was ihn etwas beruhigte. Er ließ seine Gedanken schweifen und stellte sich vor, er wäre Don Draper, auch wenn er zurzeit Anthony Dzundza war. In seiner Fantasie stellte Tom Brick den Roger Sterling aus der Serie dar, Soraya war Peggy, und Joans Rolle übernahm der Fitnesstrainer, an den Peter seit Monaten ranzukommen versuchte.
Martha Christiana betrachtete die erschütternd reglose Gestalt, zu der ihre Mutter geworden war. »Geht es so zu Ende?«, fragte sie.
»Für manche«, sagte Don Fernando, der dicht bei ihr stand. »Für Menschen mit einem unheilbaren Leiden.«
»Sie war nicht immer so.«
»Im Grunde schon.« Als sie sich ihm zuwandte, lächelte er mitfühlend. »Sie wurde mit einem Gehirndefekt geboren. Damals wurde so etwas nicht einmal diagnostiziert, aber auch heute kann man nicht viel dagegen tun.«
»Medikamente.«
»Medikamente hätten aus der jungen Frau, die sie war, einen Zombie gemacht. Wäre das besser gewesen?«
Marthas Mutter rührte sich und gab einen klagenden Laut von sich. Martha ging zu ihr und half ihr auf die Toilette. Sie blieb mehrere Minuten bei ihr. Don Fernando ging zur Kommode hinüber und betrachtete die beiden Fotos. Vor allem betrachtete er das junge Mädchen, das Martha Christiana war. Er verfügte über die ungewöhnliche Gabe, aus alten Fotos gewisse Eigenheiten eines Menschen ablesen zu können.
Hinter ihm öffnete sich die Tür, er stellte die Bilder zurück und half Martha, ihre Mutter zum Bett zu bringen. Die alte Frau wirkte erschöpft, fast, als würde sie bereits schlafen.
Die Schwester kam herein, doch Martha winkte sie weg. In stiller Übereinkunft legten sie und Don Fernando die alte Frau ins Bett. Als ihr Kopf auf dem Kissen ruhte und Martha ihr Haar rund um das abgezehrte Gesicht zurechtstrich, blitzte ein winziger Funke in ihren Augen auf, als hätte sie
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