Der Bourne Verrat: Roman (German Edition)
Der gepanzerte SUV schlängelte sich geschickt durch das Meer aus bunten Taxis, Lastwagen und Bussen voller stinkender Männer, Frauen, Kinder und Tiere. Unter dem Glockengeläut von Kirchen und Kathedralen rollten sie durch den Sumpf der Stadt, bis sie ins saubere Viertel Polanco gelangten, in dessen Herz die Villa stand, von hohen Mauern und Kiefern umgeben und mit elektrischen Zäunen gesichert.
Encarnacións Haus war tatsächlich ein Prunkstück mit seinen kunstvollen Details und Schnörkeln, und gleichzeitig wie eine Festung ausgebaut, in dieser Stadt des grassierenden Verbrechens eine absolute Notwendigkeit. Es waren jedoch nicht die immer mächtiger werdenden Drogenbosse, gegen die das Anwesen gesichert war, sondern die wechselnde politische Landschaft, die so tückisch wie Treibsand war. Im Laufe der Jahre hatte Encarnación immer wieder miterlebt, wie vermeintlich unverwundbare Freunde einem Regierungswechsel zum Opfer fielen. Er hatte sich geschworen, dass ihm das nicht passieren würde.
Es war die Zeit von La Comida , dem großen Mittagsmahl, das in der Stadt der Azteken mit fast religiösem Eifer zelebriert wurde. Die Mahlzeit begann für gewöhnlich um zwei Uhr und zog sich manchmal über den ganzen Nachmittag. Der lange Tisch in Encarnacións Esszimmer war reich gedeckt: Es gab gegrilltes Fleisch mit Pasilla-Chilis, winzige Baby-Aale, gegrillten Fisch, heiße Tortillas, Mole und natürlich gut gereiften Tequila.
Die beiden Männer setzten sich einander gegenüber und hoben das Tequilaglas, ehe sie darangingen, ihren gewaltigen Appetit zu stillen. Bedient wurden sie von Anunciata, der hübschen Tochter von Maria-Elena, Encarnacións langjähriger Köchin. Er hatte sehr bald etwas Besonderes in ihr gesehen und sie von den Pflichten der Küche entbunden, um ihr beizubringen, wie man Internet und moderne Technologie einsetzt, um seine Ziele zu erreichen. Ihr Geist war genauso eifrig und rege wie ihr Körper.
Als sie satt waren, das Geschirr abgeräumt und Espressos und Zigarren serviert waren, brachte Anunciata außerdem riesige Tassen mit heißer Schokolade, mit Chili gewürzt und einem traditionellen hölzernen Quirl schaumig geschlagen. Dies war der wichtigste Teil des Rituals. Die Mexikaner glauben, dass der mächtige Geist des Getränks im Schaum liegt. Anunciata verschwand so lautlos, wie sie gekommen war, und überließ die beiden Männer dem Gespräch über ihre kühnen Pläne.
Der Azteke war guter Laune. »Der Präsident überlässt uns nach und nach immer mehr Macht.«
»Wir kontrollieren diese Stadt.«
»Wir haben die Kontrolle, ja.« Don Tulio legte den Kopf auf die Seite. »Freut dich das nicht, Don Maceo?«
»Doch.« Encarnación schlürfte fast andächtig seine heiße Schokolade. Erst wenn er dieses wunderbare Getränk genoss, hatte er das Gefühl, zu Hause zu sein. »Aber die Kontrolle zu erlangen und sie zu behalten sind zwei Paar Schuhe. Das eine garantiert nicht zwangsläufig das andere. Dieses Land wird alles überdauern, Don Tulio. Wenn wir schon längst Staub sind, ist Mexiko immer noch da.« Wie ein dozierender Professor hob er mahnend den Finger. »Mach nicht den Fehler, dich mit dem Land anzulegen, Don Tulio. Regierungen kann man stürzen, aber Mexiko selbst, das Land, darf man sich nicht zum Feind machen. Das wäre sträfliche Hybris, ein fataler Fehler, für den man mit Sicherheit bezahlt, egal wie viel Macht man in den Händen hält.«
Der Azteke wusste nicht so recht, worauf Encarnación hinauswollte. Außerdem war er sich nicht sicher, was Hybris bedeutete. »Ist das das Problem?«
»Das ist ein Problem, aber darüber unterhalten wir uns ein andermal. Es ist nicht das Problem.«
Er zog Kugelschreiber und Notizblock aus seiner Brusttasche, kritzelte etwas auf das oberste Blatt, riss es ab, faltete es in der Mitte und schob es über den Tisch. Der Azteke sah ihn einen Moment lang an, dann senkte er den Blick, nahm das Blatt und faltete es auseinander.
»Dreißig Millionen Dollar?«, sagte er.
Encarnación fletschte die Zähne.
»Wie konnte das passieren?«
Encarnación ließ die heiße Schokolade im Mund kreisen und blickte zur Decke hinauf. »Darum habe ich dich gebeten, mich vom Flughafen abzuholen. Irgendwo zwischen Comitán de Dominguez und Washington, D.C., sind die dreißig Millionen verschwunden.«
Der Azteke stellte bestürzt seine Tasse auf den Tisch. »Ich verstehe nicht.«
»Unser Partner behauptet, die dreißig Millionen wären gefälscht. Ich weiß,
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